(firmenpresse) -
Bonn - Im Einkauf von Unternehmen und Staat stecken erhebliche Potenziale, um die sozial- und umweltpolitischen Standards der Produktion zu verbessern – in Deutschland und vor allen Dingen im Ausland. Da ist es nur konsequent, wenn das Beschaffungsamt des Bundesinnenministeriums mit seinem Einkaufsvolumen von über einer Milliarde Euro neue Wege gehen will, wenn Bundesbehörden Güter und Dienstleistungen nachfragen. Für deutsche Industrielobbyisten ist das eine schwer verdauliche Kost. Es gibt das Vergaberecht und im Vordergrund habe die Beschaffung zu stehen und nicht irgendein Wünsch-Dir-was-Gutmenschen-Denken. So könnte man die Positionen der Verbandsvertreter der Wirtschaft auf der Fachkonferenz des Vergabenetzwerkes http://www.vergabeblog.de/deutsches-vergabenetzwerk/ im Beschaffungsamt in Bonn zusammenfassen (Titel der Veranstaltung: Der schöne Schein der Nachhaltigkeit http://www.vergabeblog.de/Dokumente/Nachhaltige_Beschaffung_1511_Bonn.pdf).
Wie solle man den eineindeutig in einer komplexen Lieferkette unter Beweis stellen, dass auch hohe ökologische und soziale Standards eingehalten werden. Besonders für kleine und mittelständische Unternehmen sei das nur schwer möglich. Von der Rohstoffgewinnung bis zum Verkauf des Produktes gebe es eine Vielzahl von Wertschöpfungsstufen, die nicht vollständig kontrollierbar seien. OK – Verbandsjuristen müssen wohl so argumentieren. In den Aufzeichnungen der Vorträge wird deutlich, dass die Industrielobbyisten ein ziemlich schnoddriges Verständnis von Nachhaltigkeit haben und sich darauf zurückziehen, was so alles nicht funktionieren kann nach dem Vergaberecht.
Es gab von den Vertretern des BDI (Niels Lau, Leiter der Abteilung Wettbewerb, öffentliche Aufträge, Verbraucher) und des Gesamtverbandes textil+mode (Dr. Christoph Schäfer, Leiter Recht und Steuern, siehe Bild oben) nicht einen einzigen konkreten und konstruktiven Vorschlag, wie man im Einkauf nachhaltige Kriterien verankern könnte. Alles sollte am besten so bleiben wie es ist. Man lagert fleißig in Billiglohnländer aus und schert sich einen Teufel um die dortigen Produktionsbedingungen. Wo diese Mentalität hinführt, kann man am Beispiel des Discounters KIK sehr gut nachvollziehen. Siehe den ersten Youtube-Teil der ARD-Reportage: http://www.youtube.com/watch?v=hRePVyx9lsg.
Erhellend sind auch die Skandale bei der Produktion von Jeans in der Türkei. http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/0,1518,614541,00.html
Sind das jetzt komplexe Lieferketten, die man nicht kontrollieren kann oder doch sehr einfach zu recherchierende Tatbestände, die man herausbekommt, wenn man bereit ist, etwas genauer hinzuschauen? Wenn Journalisten so etwas aufdecken können, ist es für die Heerscharen an Industrielobbyisten ein leichtes, gleiches zu tun. Zudem werben doch so genannte Supply Chain-Anbieter mit der perfekten Kontrolle der Lieferkette. „Der Leistungsvergleich von Lieferketten hat sich zu einem echten Schwerpunkt für multinationale Unternehmen entwickelt, die ihre Auswirkungen auf die Umwelt nachvollziehen wollen. Die Verizon Supply Chain Managed Services unterstützen die Unternehmen dabei, eleganter zu arbeiten und die Geschäfte besser und sicherer in einem wachsenden Umfeld von Lieferanten, Partnern, Kunden und Mitarbeitern auszuführen, während außerdem noch der Kohlendioxid-Bilanz verbessert wird“, sagte etwa Mike Marcellin, Vice President of Product Marketing bei Verizon Business nach einem Bericht von NeueNachricht.
Bei der Frage der nachhaltigen Beschaffung geht es nicht darum, anderen Ländern irgendwelche Dinge zu diktieren oder die gleichen Standards wie in Deutschland zu verlangen. Allerdings ist es nicht akzeptabel, Industriebedingungen des 19. Jahrhunderts hinzunehmen: Also Kinderarbeit, Ausbeutung, unzumutbare und gesundheitsschädliche Arbeitsplätze. Wenn es der deutschen Industrie ernst ist mit der Nachhaltigkeit, dann sollten sie auch bei ihren Partnerfirmen im Ausland für humane, ökologische und moderne Arbeitsplätze sorgen.
Hier könnte der Staat einiges ändern, sagte Dr. Evelyn Hagenah vom Umweltbundesamt auf der Bonner Konferenz. Bund, Länder und Gemeinden haben in Deutschland mit einem jährlichen Einkaufsvolumen von etwa 260 Milliarden Euro eine erhebliche Marktmacht. Eine umweltorientierte Beschaffung könnte die Treibhausgase um rund 30 Prozent reduzieren. Hier die entsprechende Studie http://www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/application/pdf/mckinseystudie_zusammenfassung.pdf.
Einen interessanten Vorschlag für die Sicherstellung einer nachhaltigen Beschaffung in dem komplexen Gefüge von internationalen Lieferketten machte Klaus-Peter Tiedtke, Direktor des Beschaffungsamtes. Er hält es für sinnvoll und machbar, die weltweit sehr gut vernetzten NGOs einzubinden, um die Güte der Nachhaltigkeit bei der Rohstoffgewinnung, Produktion und dem Transport von Produkten sicherzustellen. Ein entsprechendes Dialogangebot soll demnächst an die NGOs gerichtet werden. Das wiederum machte den BDI-Vertreter äußerst nervös. Prompt bot er am Anfang seiner Rede an, bei diesem Dialog mitzumischen. Da will man wohl eher verhindern als konstruktiv mitarbeiten. Was sollte denn auch den BDI auszeichnen, in Billiglohnländer auszuschwärmen und die Produktionsbedingungen zu überprüfen.
Resümee: Der Direktor des Beschaffungsamtes erwähnte die berühmt-berüchtigten dicken Bretter von Max Weber, die man wohl bohren müsse, um im Vergabeprozess auch für einen nachhaltigen Einkauf zu sorgen. Wenn man sich die BDI-Position anhört, ist das sogar noch harmlos ausgedrückt. Es wird zu massigen politischen Machtkämpfen und Gerichtsverfahren kommen, wie wir sie auch beim Atomausstieg erleben. Man wird sich wohl warm anziehen müssen.
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