Per Urteil vom 01.11.2011 entschied das Landgericht Berlin, dass eine Auskunftei (Schufa Holding AG) dazu verpflichtet ist, dem Betroffenen Details der von der Auskunftei betriebenen Berechnung der Kreditausfallwahrscheinlichkeit bzw. des Scoring-Verfahrens offenzulegen (LG Berlin, Urt. v. 01.11.2011 – 6 O 479/10). Damit erwirkte ilex Rechtsanwälte & Steuerberater die Verpflichtung zur teilweisen Offenlegung des bislang geheimen Scoring-Systems und sprach darüber mit Dr. Stephan Gärtner, der seine rechtsvergleichende Dissertation zu einem datenschutzrechtlichen Thema beim Betreiben einer Auskunftei verfasst hatte.
(firmenpresse) - ilex: „Herr Dr. Gärtner, Sie waren in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Berlin als Prozessbeobachter anwesend. Worum ging es dort eigentlich?“
Dr. Gärtner: „Der Fall war meines Erachtens an Merkwürdigkeiten kaum zu überbieten. Ein Unternehmer wurde im Datenbestand der Schufa Holding AG mit einem extrem schlechten Branchenscorewert geführt. Wohl deshalb bekam der Unternehmer eine Vertragsablehnungen im Rahmen einer kreditrelevanten Vertragsanbahnung. Das Merkwürdige war nun aber, dass in dem bei der Schufa Holding AG geführten Datenbestand kein einziges Negativmerkmal über den Betroffenen existierte. Er hatte sprichwörtlich eine saubere Schufa-Weste.“
ilex: „Was versteht man unter einem Negativmerkmal?“
Dr. Gärtner: „Im Datenbestand der Schufa Holding AG werden u. a. Vertragsbeziehungen gespeichert. Wenn eine solche Vertragsbeziehung in eine Störung gerät, also wenn beispielsweise Kreditraten von einem Kreditnehmer zur vorgesehenen Fälligkeit grundlos nicht bedient werden, dann kann unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen, die im Bundesdatenschutzgesetz näher definiert sind, die fällige und offene Forderung für einen bestimmten Zeitraum als Negativmerkmal in den Datenbestand der Schufa Holding AG eingetragen werden. Derartige Negativmerkmale gab es allerdings im vorliegenden Fall nicht, sondern nur Positivdaten.“
ilex: „Wieso war dann der Scorewert so schlecht und wie schlecht war er?“
Dr. Gärtner: „Der übermittelte Branchenscorewert entsprach einer Negativkategorie, die einem eher schlechten Wert entspricht. Meines Erachtens galt der Kläger damit als kreditunwürdig. Warum der Scorewert angesichts der Tatsache, dass es ja überhaupt kein Negativmerkmal gab, so schlecht war, müssen Sie die Auskunftei fragen, die nach bisherigem Stand aus der konkreten Art und Weise ihrer Scoreberechnung ein Betriebsgeheimnis machte. Genau wegen dieser Frage hatte der Kläger das Landgericht angerufen und die Schufa Holding AG auf Auskunft bezüglich der Zusammensetzung und Offenlegung der Merkmale bei der Berechnung des über ihn gespeicherten und an Dritte lancierten Scorewertes gebeten. Vor dem Landgericht Berlin bekam er nun in Bezug auf das Auskunftsverlangen Recht.“
ilex: „Hat die Schufa Holding AG sich bezüglich der offenkundigen Diskrepanz zwischen gespeicherten Positivdaten und schlechtem Scorewert irgendwie im Laufe des Prozesses erklärt?“
Dr. Gärtner: „Ja, man übergab dem Kläger eine sogenannte Datenübersicht seiner Daten. Damit konnte der Kläger aber nichts anfangen. Diese Auskunft enthielt nur die gespeicherten Datensätze, sowie allgemeingültige Angaben zum Scoring, aber klärte nicht die Kernfrage auf, warum der Kläger über einen so schlechten Scorewert verfügte. Auf die ausdrückliche Nachfrage des Prozessbevollmächtigten des Klägers, ob ggf. der Wohnsitz des Unternehmers im Osten Deutschlands eine Rolle spielt oder vielleicht sein Familienname, der einen ausländischen Ursprung aufweist, wurde mitgeteilt, dass diese Merkmale keine Rolle bei der Scoreberechnung spielen würde. Gerade weil mit dieser Auskunft aber immer noch unklar blieb, wie sich die Diskrepanz zwischen den vorhandenen Positivdaten im Datenbestand der Schufa Holding AG und den schlechten Scorewerten erklären lässt, hielt der Kläger an seinem Auskunftsbegehren fest. Eine Antwort hierzu blieb die Schufa Holding AG aus meiner Sicht schuldig.“
ilex: „Wie bewerten Sie die Entscheidung des Landgerichtes Berlin?“
Dr. Gärtner: „Ich halte den Auskunftsanspruch für begründet. § 28b Nr. 1 des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) spricht quasi als Grundvoraussetzung für die Zulässigkeit zur Berechnung von Wahrscheinlichkeitswerten von einem wissenschaftlich anerkannten mathematisch-statistischen Verfahren. Würde es den Auskunftsanspruch über den Inhalt des von einer Auskunftei betriebenen Verfahrens nicht geben, wäre diese gesetzliche Anforderung ohne jede praktische Relevanz, da sie der Betroffene nicht überprüfen kann und der Betroffene sich zugleich mit seinem Verhalten nicht auf die Art der Wahrscheinlichkeitsberechnung einstellen kann.“
ilex: „Die Schufa Holding AG argumentiert, sie erleide einen Wettbewerbsnachteil gegenüber ihren Mitbewerbern, wenn ihre Art und Weise der Scoreberechnung offengelegt werden würde.“
Dr. Gärtner: „Dem sind vier Dinge entgegenzuhalten: Erstens hat sich der Gesetzgeber durch die Neufassung des § 34 Abs. 2 BDSG im Jahre 2009 für mehr Transparenz entschieden und das von den Auskunfteien betriebene Scoring gesetzlich neu geregelt. Dieses Gesetz gilt nun. Zweitens gilt dieses Gesetz nicht bloß für die Schufa Holding AG, sondern auch für alle anderen Mitbewerber gleichermaßen. Es gilt das gleiche Recht für alle Auskunfteien und insofern können die Betroffenen die gleiche Auskunft auch von allen anderen Auskunfteien einfordern. Und Drittens gibt es nicht nur die Auskunfteien und deren Wettbewerbsverhältnis, sondern auch noch die davon betroffenen Bürger, seien es nun Unternehmer oder Verbraucher. Diese sind nun einmal von Scoring betroffen und fordern bei Unklarheiten, wie im vorliegenden Fall, mit Recht etwas mehr Transparenz ein, damit sie sich mit ihrem Verhalten darauf einstellen können. Schließlich und viertens hat das Landgericht Berlin die Schufa Holding AG nicht dazu verurteilt, generell ihr Scoring-Modell offenzulegen, sondern das konkrete Scoring-Ergebnis des Klägers zu erläutern. Die Schufa soll die Merkmale und Gewichtungen offenlegen, die konkret beim Kläger in die Berechnung eingeflossen sind. Nicht mehr und nicht weniger.“
ilex: Herzlichen Dank für das Gespräch!
Der Rechtswissenschaftler Dr. iur. Stephan Gärtner promovierte mit magna uuups laude zum Recht der Auskunfteien an der Berliner Humboldt Universität („Harte Negativmerkmale auf dem Prüfstand des Datenschutzrechts – ein Rechtsvergleich zwischen deutschem, englischem und österreichischem Recht, Univ.-Diss., Hamburg 2011“).
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