(ots) - Zwölf Jahre befanden sich die Kreml-Partei
"Einiges Russland" und Wladimir Putin im Aufwärtstrend. Nun wird der
Wind rauer. Nach den Meinungsumfragen wird die "Einiges Russland"
nicht mehr als 59 Prozent der Stimmen bekommen und damit ihre
Zwei-Drittel-Mehrheit in der Duma verlieren. Bei den Duma-Wahlen 2007
hatten noch 64 Prozent für "Einiges Russland" gestimmt. Putin musste
sich bei einer Sportveranstaltung in Moskau das erste Mal Pfiffe
anhören. Was ist passiert? Nach den chaotischen 1990er Jahren unter
Boris Jelzin, als die Russen oft monatelang auf Löhne und Renten
warten mussten, genossen die Menschen die Stabilität unter Putin.
Doch die Finanzkrise zeigt nun deutlich Grenzen auf. Der Staat hat
zwar Massenentlassungen durch großzügige Stützen an Banken und
Unternehmen auffangen können. Aber die Hoffnung, dass nun weiter
alles besser wird, ist dahin. Der Kreml versucht der Hoffnung, die
die Menschen in Russland zum Leben brauchen, durch Wahlversprechen
neues Leben einzuhauchen. Insgesamt 1,1 Billionen Euro will die
russische Regierung in den nächsten neun Jahren unter anderem für die
Bereiche Gesundheit, Arme und Sport investieren. Doch woher soll das
Geld kommen? Wird Putin nach den Wahlen tatsächlich seine Ankündigung
wahrmachen und die Reichen stärker besteuern? Die Statistiken zeigen,
dass das russische Wirtschaftswunder nicht krisenfest ist. Im ersten
Quartal 2011 stieg die Zahl der Armen um 2,3 Millionen Menschen auf
22,9 Millionen. 16 Prozent der Russen leben heute unterhalb des
Existenzminimums von umgerechnet 154 Euro im Monat. Doch man würde
Russland nur durch westliche Augen betrachten, wenn man
schlussfolgert, dass wirtschaftliche Probleme automatisch zu sozialen
Aufständen führen. Wie die letzten 20 Jahre zeigen, haben die Russen
viel Erfahrung mit Wirtschaftskrisen. Seit der Finanzkrise von 2008
dominiert in den russischen Kleinstädten schon wieder der
Naturaltausch und die Nachbarschaftshilfe. In der Krise tragen die
Datschen-Gärten erheblich zur Nahrungsversorgung bei. Um die
Mitglieder der Kreml-Partei Einiges Russland in den Wahlkommissionen
am Sonntag zu einer fairen Stimmenauszählung zu zwingen, drohen
Oppositionspolitiker unverhohlen mit Straßenprotesten. Selbst ein
Hase, den man in die Ecke dränge, "wird irgendwann zum wilden Tier",
erklärte der Duma-Abgeordnete Gennadi Gudkow von der
sozialdemokratischen Partei "Gerechtes Russland", die auf Initiative
des Kreml 2006 gegründet wurde. Putin reagiert auf die Kritik und
Befürchtungen, dass die Stimmen so ausgezählt werden, dass für
Einiges Russland noch ein ansehnliches Ergebnis herauskommt, mit
Anschuldigungen gegen vom Westen bezahlte "Judasse". Prompt wurde am
Freitag ein Strafverfahren gegen "Golos", eine von der EU finanzierte
Organisation zur Wahlbeobachtung, eröffnet. Nicht reagiert haben die
russischen Justizbehörden dagegen auf den Ultranationalisten Wladimir
Schirinowski, der mit dem Slogan "Für die Russen" auf Stimmenfang
ging. In Russland, wo 16 Millionen Moslems leben, kann die
Wahlkampfparole von Schirinowski das friedliche Zusammenleben kaum
fördern. Der Westen kann Russland bei einer demokratischen
Entwicklung am besten dadurch helfen, indem er Barrieren abbaut. Da
ist zunächst einmal die Visa-Barriere, die es vielen russischen
Jugendlichen erschwert, Europa kennenzulernen. Da sind aber auch
Sprach- und Informations-Barrieren. Ãœber den russischen Alltag und
das vielfältige oppositionelle Spektrum in Russland, von
Umweltschützern, über Sozial-Initiativen bis hin zu Bloggern wissen
die Deutschen noch immer viel zu wenig.
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