PresseKat - BERLINER MORGENPOST: Die Kanzlerin pokert hoch - Leitartikel

BERLINER MORGENPOST: Die Kanzlerin pokert hoch - Leitartikel

ID: 535828

(ots) - Ohne Deutschland geht derzeit nichts mehr in
Europa. Ohne unser Geld wäre der Euro am Ende. Trotzdem war der Ärger
über die Deutschen in Europa selten größer als heute. Man mag es
nicht, wenn Berlin den Takt vorgibt. Kanzlerin Merkel sollte sich
davon nicht beeindrucken lassen. Wir brauchen uns nicht wegzuducken,
uns nicht zu schämen, nur weil Deutschland im Moment ziemlich alleine
dasteht. Die Forderung nach harten und automatischen Strafen, nach
echter Haushaltskontrolle und eiserner Disziplin ist richtig. Nur sie
kann - wenn überhaupt - die Finanzmärkte davon überzeugen, dass sich
etwas ändern wird in Europa, dass ein griechisches oder italienisches
Schuldendrama nie wieder stattfinden wird. Derart tief greifende
Änderungen lassen sich nicht eben mal durch die Änderung einer
Protokollnotiz herbeiführen, wie Brüssel das gerne möchte. Dazu
braucht man eine ordentliche Änderung der EU-Verträge, wie Merkel es
will. Die Kanzlerin pokert hoch. Viele EU-Länder sind gegen eine
Änderung, weil sie ein Scheitern oder neue Begehrlichkeiten fürchten.
Berlin sollte diese Bedenken ernst nehmen und nicht - wie ein hoher
Regierungsvertreter - besserwisserisch darüber urteilen. Aber am Ende
sollte Merkel hart bleiben. Ihre Pläne sind besser als die
weichgespülten Forderungen aus Brüssel. Klappt es dann nicht, ist das
kein Beinbruch: Dann schließen eben nur die 17 Euro-Länder einen
Sondervertrag, in dem sie mehr oder weniger das Gleiche festlegen.
Merkel ist also in einer relativ kommoden Situation. Aber wird das
alles reichen, um die Märkte zu beruhigen? Wohl nicht. Denn neben
glaubwürdigen Reformen braucht Europa jetzt auch einen glaubwürdigen
Rettungsschirm. Die bisherigen Rettungsgerüste reichen nicht aus. Es
deutet alles darauf hin, dass die nervösen Märkte nur dann Ruhe
geben, wenn die Europäische Zentralbank noch stärker einspringt und




nahezu unlimitiert Anleihen von Krisenstaaten aufkauft. Merkel ist
eine der wenigen, die sich dagegenstemmen. Diesen Widerstand wird sie
vermutlich nicht durchhalten können. Obwohl der Preis für diese
Rettungsaktion hoch sein könnte: unkalkulierbare Inflation in
Deutschland in einigen Jahren. Europa steht jetzt an der Schwelle zu
einer neuen Zeit. Den meisten Ländern passt der deutsche Rigorismus
nicht: Sie wollen zwar eine engere Zusammenarbeit, mehr Gemeinschaft,
aber nicht die deutsche Härte. Aber nur alles zusammen macht Sinn.
Das mag für einige Länder ein Kulturschock sein. Das mag für die
europäischen Institutionen eine unzulässige Machtverschiebung
bedeuten. Es geht aber beim Gipfel nicht um Verlierer oder
Gewinner, sondern um ein neues Europa. Natürlich war das "alte"
Europa" eine Erfolgsgeschichte: Frieden, Freizügigkeit und
Stabilitätsexport in ehemals kommunistische Länder. Aber das ist nur
ein Teil der Wahrheit, wie wir heute wissen. Europa, das war eben
auch die unverantwortliche Anhäufung von Schulden, sinnlose
Ausgabenpolitik und ineffiziente Wirtschaftsstrukturen in einigen
Ländern. Man hat einfach weggeschaut. Damit muss Schluss sein.



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Datum: 07.12.2011 - 19:42 Uhr
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