(ots) - Brüssel vor elf Tagen: Es sollte der Krisengipfel
sein, der alle Krisengipfel beendet. Stattdessen sieht es so aus, als
koste der neue Euro-Rettungsversuch via Fiskal- und Stabilitätsunion
einen fatalen Preis, nämlich den Verzicht auf ein im Weltmaßstab
handlungsfähiges Europa. Das ist, jenseits aller drängenden Fragen
der Währungsunion a conto Schieflage der Südstaaten, die tiefere
Bedeutung und die Folge dessen, was in Brüssel geschah:
Großbritannien allein gegen alle. Jetzt hält die britische Regierung,
anders als versprochen, die zugesagten 25 Milliarden Euro für die
geplante Stärkung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und damit
indirekt der Euro-Zone zurück. Die Insel sucht Distanz zum Kontinent.
Zugleich aber warnten gestern 20 Topmanager unter Führung von
Virgin-Gründer Richard Branson vor den Folgen, wenn das Land den
Anschluss verliert. Die gemeinsame Währung war einst von ihren
Urhebern, Frankreichs Präsident François Mitterrand und Bundeskanzler
Helmut Kohl, dazu gedacht, Europa unumkehrbar - so das kühne Wort -
zu vereinen. Heute ist der Euro in Gefahr, Opfer seiner eigenen
Widersprüche, dysfunktionaler Staaten und unbremsbarer
Volksbeglückung demokratischer Parlamente zu werden. Auch wenn es die
Krise verstärkt, ist das warnende Wort von Kanzlerin Merkel nicht
falsch: Scheitert der Euro, scheitert Europa. Die Briten, City of
London und Whitehall, schätzen den Sicherheitsabstand, den Sterling
bietet. Und wollen doch irgendwie dabei sein. Die gegenwärtige
Strukturkrise war der gemeinsamen Währung in die Wiege gelegt.
Währungen zu fusionieren ist fast so schwierig wie Staaten zu
vereinen. Die Währung ist authentischer Ausdruck dessen, was ein Volk
war, ist und sein will; sie trägt Erinnerung an gute alte Zeiten und
Angst vor bösen neuen Zeiten. Weil dem so ist, leidet der Euro an der
Erforderlichkeit des Unmöglichen. Es hätte bei behutsamer
Vorbereitung jenes Brüsseler Gipfels nie dahin kommen dürfen, dass
sich die Wege trennen und der Bruch denkbar wird. Niemand kann heute
absehen, welche Dynamik in der Wendung von Brüssel, als London allein
stand gegen 26 EU-Staaten, entfesselt wurde. Dass Großbritannien den
einheitlichen Markt mitträgt, liegt in der Tradition der Insel, die
Europa weiterhin als große Freihandelszone de luxe und System des
Gleichgewichts schätzt, aber weiter reichenden Souveränitätstransfer
repatriieren will. Dass aber die 26 unter sich einig wären über den
Weg zur Fiskalunion, kann man bisher nicht wahrnehmen. Da warten die
nächsten Blockaden. Die Einsamkeit der Briten ist ein böses
Vorzeichen für Europa. Die wirtschaftsliberalen Kräfte verlieren
gegenüber den EU-Etatisten. Das verändert alle Gleichungen innerhalb
der EU, verstärkt die Entwicklung zum deutsch-französischen
Direktorium und schwächt den Einfluss der kleineren Mitgliedsstaaten.
Deutschland wird in der Rolle der so unersetzlichen wie unwilligen
Hegemonialmacht überfordert. Die finanziellen Grundlagen wanken, und
die EU verliert jenen politischen Zusammenhalt, der doch von Anfang
an das europäische Projekt bedingte und beseelte.
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