(ots) - Die Augen Europas ruhen auf dem Süden des
Kontinents. Griechenland gilt als wichtigster Krisenherd, gefolgt von
Italien, Spanien und Portugal. Tatsächlich aber häuft ein kleines
Land im östlichen Mitteleuropa seit geraumer Zeit so viel Sprengstoff
an, dass eine Explosion die EU zum Bersten bringen könnte. Die Rede
ist von Ungarn. Das Land ist wirtschaftlich ähnlich stark
angeschlagen wie die südeuropäischen Pleitestaaten. Erst in dieser
Woche musste Budapest eine Auktion von Staatsanleihen absagen, weil
sie mit einem Zinsniveau von fast zehn Prozent unter Ramschniveau
gehandelt wurden. Ratingagenturen sprechen von Schrottpapieren. Schon
2008 konnte Ungarn einen Bankrott nur mit Hilfe internationaler
Milliardenkredite vermeiden. Die Landeswährung Forint befindet sich
im freien Fall. Ein Wachstum ist 2012 nicht in Sicht. Kurz: Die Lage
ist dramatisch. Anders aber als in Athen, Rom und Madrid ist in
Budapest nicht etwa ein Regierungswechsel in Sicht, von dem ein
Hoffnungsschimmer ausgehen könnte. Ganz im Gegenteil! In Ungarn ist
Ministerpräsident Viktor Orban dabei, einen autoritären Staat zu
errichten. Das System basiert auf nationalistischen Werten und hat
kaum noch etwas mit den demokratischen Fundamenten zu tun, auf denen
die EU ruht. Dies wiederum macht Ungarn zu einem heißeren Kandidaten
für einen eskalierenden Grundsatzkonflikt mit Brüssel oder gar einen
EU-Austritt, als etwa Großbritannien dies ist. Die von Orban straff
geführte Fidesz-Partei verfügt im Budapester Parlament über eine
Zweidrittelmehrheit. Mit dieser Übermacht im Rücken hat der
Ministerpräsident eine neue Verfassung entwerfen lassen, die am 1.
Januar in Kraft tritt. Das Grundgesetz entzieht dem demokratischen
Rechtsstaat die Grundlagen. Es entmachtet das Verfassungsgericht
ebenso wie das Parlament. In der von patriotischem Schwulst
aufgeblähten Präambel werden Nation und Familie, Wohlstand,
Sicherheit, Ordnung, Glaube, Liebe, Treue und anderes mehr in den
gleichen Rang gehoben wie die Menschenwürde. Es bleibt unklar, ob
diese künftig unantastbar ist. Was das konkret bedeutet, zeigt der
Streit um das ungarische Mediengesetz. Das Verfassungsgericht hatte
kurz vor Weihnachten Teile des demokratiefeindlichen Machwerks
einkassiert. Im neuen Jahr dürften die strittigen Paragrafen in
leicht veränderter Fassung bald wieder im Gesetzblatt auftauchen. Und
diesmal wird kein Richter mehr dem Treiben Einhalt gebieten können.
Die neue Verfassung schafft einen Rahmen, den Orban nach eigenem
Gutdünken ausfüllen kann. Man muss nicht so weit gehen wie einzelne
Kritiker in Ungarn, die von einem Ermächtigungsgesetz sprechen und
das Schreckensgemälde einer Machtübernahme im Stile der Nazis an die
Wand malen. Genauso verkehrt aber wäre es, die Situation an der Donau
zu bagatellisieren. Der Weg zu einer autoritären Herrschaft ist
geebnet. Schlimmer noch: Es sind die Antisemiten und
Ultranationalisten am äußersten rechten Rand, die Orban vor sich her
treiben. Die Wirtschaftskrise verschafft zwar auch der fast schon in
Vergessenheit geratenen linken und liberalen Opposition neuen Zulauf.
Ob sie die Kraft haben wird, dem ebenso populistischen wie noch immer
populären Fidesz-Führer Paroli zu bieten, ist allerdings zweifelhaft.
Auch die EU hat Orban bislang gewähren lassen. Das Problem für
Brüssel ist, dass die Ungarn ihren Ministerpräsidenten in einer
freien Wahl mit einer Zweidrittelmehrheit ausgestattet haben.
Gleichwohl ist es höchste Zeit zu handeln. Denn der drohende
Niedergang seines Landes könnte Orban bald in die Flucht nach vorn
treiben. Was liegt für einen Volkstribun näher, als wahlweise die EU
oder die Weltfinanzmärkte für die eigene Schwäche verantwortlich zu
machen? Bereits einmal hat Orban dem Internationalen Währungsfonds
eine spektakuläre Abfuhr erteilt nach der Devise "Wir sind eine
starke Nation, wir brauchen euch nicht!" Ein EU-Austritt Ungarns ist
deshalb auf mittlere Sicht zwar noch immer eher unwahrscheinlich.
Ausgeschlossen ist er jedoch keineswegs. Es wäre ein Fanal des
Untergangs.
Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten(at)mittelbayerische.de