PresseKat - "Solidarität zu Israel - trotz Kritik" EKD-Ratsvorsitzender zum Verhältnis der Kirche zu

"Solidarität zu Israel - trotz Kritik"
EKD-Ratsvorsitzender zum Verhältnis der Kirche zum Staat Israel

ID: 555458

(ots) -

Sperrfrist: 17.01.2012 13:45
Bitte beachten Sie, dass diese Meldung erst nach Ablauf der
Sperrfrist zur Veröffentlichung freigegeben ist.

Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland
(EKD), Präses Nikolaus Schneider hat sich am heutigen Dienstag in
Berlin bei der Studientagung "Ein schwieriges Verhältnis? Die
christlichen Kirchen und der Staat Israel" zu Aspekten des
Verhältnisses der evangelischen Kirche zum Staat Israel geäußert. In
seinem Vortrag führte er aus, dass unter den heutigen Bedingungen
"die staatliche Verfasstheit Israels" die einzige "realistische
Möglichkeit" für das jüdische Volk sei, seine Verbindung zum Land
Israel "selbstbestimmt verwirklichen zu können". Schneider: "Solange
dies der Fall ist, stehen wir als Christinnen und Christen in
Solidarität mit dem Staat Israel, für dessen Existenz wir einzutreten
haben."

Der Staat Israel habe aus protestantischer Sicht dieselbe Funktion
und Qualität wie jeder andere Staat auch, nämlich "Schutzgehäuse" für
seine Bürgerinnen und Bürger zu sein. Eine religiöse Überhöhung des
Staates Israel sei "theologisch unzulässig" und gefährde die
Bemühungen um einen friedlichen Interessenausgleich zwischen den
Bürgern Israels und seinen arabischen Nachbarn, so Schneider unter
Verweis auf die EKD-Schriften "Christen und Juden I-III", die
zwischen 1975 und 2000 entstanden sind.

Unter dem Eindruck "konkreter Existenzbedrohung für den Staat
Israel, an der sich tragischer Weise bis heute nicht genug geändert
hat", habe unter anderem der spätere rheinische Präses Karl Immer
1967 die besondere Verantwortung der Deutschen für den Staat Israel
so beschrieben: "Wir Deutsche, die wir in schrecklicher Weise an
Israel schuldig geworden sind, haben eine Mitverantwortung für den




Staat Israel als die letzte Heimat vieler Menschen, die aus unserem
Land stammen und dem von uns Deutschen ins Werk gesetzten Völkermord
an den europäischen Juden entronnen sind."

Es sei die Aufgabe der Kirche, "freundschaftlich und tief
verbunden dem Staat Israel zur Seite zu stehen". Diese Freundschaft,
so der Ratsvorsitzende, schließe allerdings notwendige Kritik ein,
wie zum Beispiel den Hinweis auf "gesellschaftliche Fehlentwicklungen
und alltägliche Diskriminierungen; den Widerspruch gegen politische
Entscheidungen, die zu Ungerechtigkeiten und Unfrieden führen wie
z.B. die Siedlungspolitik und die Erteilung bzw. Verweigerung von
Baugenehmigungen." Präses Schneider betonte, die evangelische Kirche
solle sich davor hüten, von außen Konflikte zu lösen zu wollen, denn:
"Lösen können den Konflikt nur die Konfliktparteien selbst.
Besserwisserei unsererseits verbietet sich."

Der Ratsvorsitzende deutete die biblische Geschichte von Abram und
Lot (1. Mose 13) aus, da sie, so Schneider, eine "besondere Hoffnung
auf dem Weg zu einer Lösung des Nahost-Konflikts begründen könnte."
Sie handele schon damals von einer "Zweistaaten-Lösung", die, so der
Präses, die "nicht nur damals, sondern auch heute noch die vorerst
einzige Perspektive für eine friedliche Koexistenz zu sein scheint."

Hannover, 17. Januar 2012

Pressestelle der EKD

Reinhard Mawick

Sperrfrist: Dienstag, 17.Januar 2012, 13.45 Uhr Achtung! Es gilt
das gesprochene Wort Präses Dr. h.c. Nikolaus Schneider Vorsitzender
des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)

Vortrag

Ein schwieriges Verhältnis? Die evangelische Kirche und der Staat
Israel Vortrag bei der Tagung des Koordinierungsrates der
Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit 17.01.2012
Berlin

Sehr geehrte Damen und Herren,

aus meiner persönlichen Perspektive werde ich zu Ihnen sprechen.
Das Gesagte ist also nicht abgestimmt worden, es fehlt ihm das
Gewicht von Beschlüssen. Das aber erleichtert die Positionierung und
die klare Sprache.

Nein, ich halte das Verhältnis der evangelischen Kirche zum Staat
Israel nicht für grundsätzlich schwierig. Das gleich vorweg gesagt.
Gestört wird das Verhältnis allenfalls durch die Komplexität der
Erwartungen wie auch durch manche Unterstellungen, die diesem
Verhältnis beigelegt werden. Lassen Sie mich deshalb in vier
Schritten erläutern, was aus meiner Sicht zum Verhältnis der
evangelischen Kirche zum Staat Israel heute zu sagen ist:

Christliche Faszination für das "Heilige Land" - vor 1948

Um das Verhältnis von uns Protestanten zum heutigen Staat Israel
einordnen zu können, muss man zunächst in der Geschichte deutlich
weiter zurückgreifen. Das "Heilige Land", Schauplatz der biblischen
Erzählungen, hat auf Christinnen und Christen seit jeher eine
besondere Faszination ausgeübt. Noch heute zeugen zahlreiche
Kreuzfahrerburgen im Nahen Osten von den oftmals sehr brutalen und
gewalttätigen Auswirkungen dieser Begeisterung für das "Heilige
Land". Die grundsätzliche Faszination für das "Heilige Land" hat sich
auch nach den mittelalterlichen Kreuzzügen im Zeitalter der
Reformation nicht abgeschwächt, wenn sie auch anders gelebt wurde.
Seit 1525 in einer Zwingli-Bibel zum ersten Mal eine Karte zusammen
mit dem biblischen Text abgedruckt worden war, fanden biblische
Kartenbeigaben im 16. Jahrhundert und seither rasante Verbreitung.

Wer einmal Gelegenheit hat, in unser schönes Rheinland zu kommen,
kann in der neuen Dauerausstellung der "Begegnungsstätte Alte
Synagoge Wuppertal" einen Druck aus dem Jahr 1735 bewundern, der die
über viele Jahrhunderte hinweg ganz überwiegend vorherrschende
Interpretation der Landkarten Palästinas illustriert: Einer
Gesamtausgabe von Josephus Werken ist die Abbildung der
Tempelzerstörung vorangestellt. Im Vordergrund erstrahlt Eccclesia im
himmlischen Licht, triumphierend über den in Gottes Strafgericht
brennenden jüdischen Tempel. Die Juden, so die Lesart, hatten ihr
Land 70 n. Chr. endgültig verloren, weil sie Gott untreu geworden
waren und seinen Messias nicht anerkannten. Der Tempel zerstört, das
Land verloren - Gottes Gericht offenbarte sich in der Geschichte, so
die weitestgehend einhellige und kaum angefochtene Ãœberzeugung bis
weit ins 20. Jahrhundert, nicht nur auf protestantischer Seite.

Die Errichtung des modernen Staates Israel 1948 führte
dementsprechend zunächst zu einer weitgehenden Sprachlosigkeit der
Kirche: Die herkömmliche Lesart wurde plötzlich durch den Lauf der
Geschichte durchkreuzt und es begann die Suche nach einem neuen
Paradigma: Wie ist die jüdische Präsenz im "Heiligen Land" nach 2000
Jahren Exil zu deuten? Karl Barth war wohl der erste, der zumindest
das Erstaunen über diese neue Situation prägnant zum Ausdruck
gebracht hat, als er 1950 über den noch jungen Staat Israel schrieb:
"Da sind sie wieder, da sind sie noch; sie, dieser merkwürdige,
repräsentierende Rest von Israel. Es sollte nicht so sein, es war
offenbar im Jahr 70 [...] nicht so gemeint, daß die Juden als Juden
nicht mehr da sein oder doch nicht mehr sichtbar sein sollten. Sie
waren es immer. Sie sind es noch heute und nun also heute,
unmittelbar nach der scheinbar furchtbarsten, scheinbar dem äußeren
Umfang nach alles Frühere in den Schatten stellende Katastrophe ihrer
Geschichte erst recht." Der, wie Barth weiter schreibt, "so
überraschend aus der Sprache der Bibel und der Kirche [...] plötzlich
wieder in die Zeitung übergegangene Name jenes neuen Staates" Israel
wurde 1948 also zur Herausforderung für die Theologie, die ihr
klassisches Denkmuster, demzufolge das Gericht Gottes über die Juden
in deren Vertreibung aus dem "Heiligen Land" gleichsam historisch
bestätigt worden war, nicht mehr in der Geschichte abgebildet fand.

Die völkerrechtliche Basis für die Gründung Israels - Israel als
säkularer Staat

Die Errichtung des Staates Israel setzte die UN-Resolution 181 vom
29. November 1947 um, die das britische Mandatsgebiet Palästina
zweigeteilt hatte, und zwar in einen "jüdischen" und in einen
"arabischen Staat". Hier, in dieser Resolution der
UN-Generalversammlung, liegt die völkerrechtliche Basis für den
heutigen Staat Israel. Mit theologischen Einsichten oder religiös
geprägten Perspektiven hat das gar nichts zu tun. Das moderne Israel
ist ein säkularer Staat, dessen Existenzberechtigung durch einen
demokratischen Beschluss der Völkergemeinschaft und nicht durch eine
theologische Interpretation entschieden worden ist. Wie jeder andere
Staat auch, hat der moderne Staat Israel zunächst eine
völkerrechtliche und keine theologische Qualität.

Die Gründung Israels, wie auch die bis heute nicht umgesetzte
Gründung eines arabisch-palästinensischen Staates, standen dabei im
Zusammenhang zahlreicher völkerrechtlich verbindlicher Beschlüsse,
die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Afrika, Asien und Europa
neue Staaten bzw. neue Grenzen für alte Staaten legitimiert haben.
Zur Befriedung des "Heiligen Landes" votierte die UN nach
Jahrhunderten europäischer und osmanischer Kolonialherrschaft 1947 in
diesem Zusammenhang für einen souveränen "jüdischen Staat" an der
Seite eines souveränen "arabischen Staates".

Auch die biblischen Landverheißungen sind, wenn wir über den
modernen Staat Israel reden, zunächst nur insofern von Bedeutung, als
sie uns als historische Quellen die bis in die Entstehungszeit der
Texte zurückreichende Verbindung des jüdischen Volkes mit diesem Land
belegen. Wie bei jedem anderen modernen Staat auch liegt Israels
Existenz nicht in Glaubenszeugnissen begründet, sondern in
völkerrechtlich gültigen Entscheidungen. "Eine religiöse Überhöhung
des Staates Israel", hat die EKD daher in ihren Studien zur Thematik
sehr deutlich gesagt, "ist theologisch unzulässig und gefährdet die
Bemühungen um einen friedlichen Interessenausgleich zwischen den
Bürgern Israels und seinen arabischen Nachbarn."

Der Staat Israel hat aus protestantischer Sicht, so ist zunächst
also festzuhalten, dieselbe Funktion und Qualität wie jeder andere
Staat auch, nämlich "Schutzgehäuse" für seine Bürgerinnen und Bürger
zu sein. Der Staat Israel "ist das Schutzgehäuse, das einem Teil
[...] des jüdischen Volkes eine selbstbestimmte Existenz zu sichern
hilft." Und es waren vor allem säkular-jüdische Bewegungen,
Organisationen und Parteien, die den Staat Israel gegründet und
aufgebaut haben. Sie handelten aus politischen Motiven.

Unter dem Eindruck konkreter Existenzbedrohung für den Staat
Israel, an der sich tragischer Weise bis heute nicht genug geändert
hat, hat u.a. der spätere rheinische Präses Karl Immer 1967 die
besondere Verantwortung von uns Deutschen, die wir dabei für den
Staat Israel im Raum der Völkergemeinschaft haben, folgendermaßen
beschrieben: "Wir Deutsche, die wir in schrecklicher Weise an Israel
schuldig geworden sind, haben eine Mitverantwortung für den Staat
Israel als die letzte Heimat vieler Menschen, die aus unserem Land
stammen und dem von uns Deutschen ins Werk gesetzten Völkermord an
den europäischen Juden entronnen sind."

Der (säkulare) Staat Israel in protestantisch-theologischer
Perspektive

Es ist das Verdienst von Karl Barth, für die protestantische Ethik
und für die Verhältnisbestimmung von Kirche und Staat eine
grundlegende Differenzierung eingeführt zu haben: Als Christinnen und
Christen leben wir in der "Bürgergemeinde", d.h. in den staatlichen
Strukturen. Dennoch sind wir aber zugleich als "Christengemeinde"
auch Träger einer besonderen Perspektive, die im Raum der
"Bürgergemeinde" nicht ohne Weiteres geteilt wird. Im Raum der
Bürgergemeinde, so Barth, können theologische Argumente kein
Bestandteil der in ihr aufgerichteten Rechtsordnung sein, weil diese
Argumente nur von denen angenommen werden können, die auch ihre
Voraussetzung teilen, nämlich die theologische Perspektive mit dem
Bezug auf Gott.

Diese Unterscheidung zwischen einer notwendigerweise
unterschiedlichen Argumentation im Raum der Bürgergemeinde und im
Raum der Christengemeinde ist nun auch in Bezug auf das
protestantische Verhältnis zum Staat Israel anzuwenden: Innerhalb
der Völkergemeinschaft (d.h. in der Bürgergemeinde), ist, wie bereits
dargelegt, zunächst auf die völkerrechtlich gültige Begründung des
Staates Israel zu verweisen. Dem widerspricht nicht, dass wir im
Bereich unseres theologischen Nachdenkens darüber hinaus auch
theologische Aussagen über den Staat Israel zu machen haben, die aber
im Bereich der Bürgergemeinde keine Anerkennung beanspruchen können.

Folgende drei Aspekte unseres Verhältnisses als evangelische
Kirche zum Staat Israel scheinen mir dabei aus theologischer Sicht
besonders relevant:

Die Bedeutung des Landes Israels für jüdisches Selbstverständnis

Für uns Christinnen und Christen ist der Staat Israel nicht nur
ein Staat wie jeder andere, und zwar weil er für Jüdinnen und Juden
mehr ist als nur ein Staat unter vielen. Mit der Erkenntnis unserer
besonderen Verbundenheit zum jüdischen Volk ist notwendigerweise
"auch der Staat Israel als eine besondere Größe qualifiziert", da
das Land Israel von grundlegender Bedeutung für jüdisches
Selbstverständnis und jüdische Identität ist.

Die Bedeutung des Landes Israel für jüdische Identität lässt sich
dabei in zweifacher Hinsicht konkretisieren: Zum einen ist das Land
Israel der Lebensraum, in dem sich ein wichtiger Teil des Lebens des
Volkes vollzogen hat. Biblisch gesehen gibt es kein anderes Thema,
das sich so sehr durch die ganze Geschichte des biblischen Israel
hindurchzieht wie das Thema "Land". Aber auch in nachbiblischer Zeit
verweist die kontinuierliche jüdische Präsenz im "Heiligen Land" auf
den grundlegenden Zusammenhang von Volk und Land, von "am israel" und
"eretz israel". Zum anderen ist das Land durch die biblische
Ãœberlieferung aber auch zum Gegenstand von Zukunftserwartungen und
Hoffnungen geworden. Das für jüdische Identität prägende
Nebeneinander von Land Israel und Diaspora erklärt sich nur vor
diesen beiden wechselseitig aufeinander bezogenen Zusammenhängen.

Unter den heutigen politischen Bedingungen erscheint dabei die
staatliche Verfasstheit Israels als die einzige realistische
Möglichkeit für das jüdische Volk, seine Verbindung zum Land Israel
selbstbestimmt verwirklichen zu können. Solange dies der Fall ist,
stehen wir als Christinnen und Christen (und zwar nicht nur in
Deutschland) in Solidarität mit dem Staat Israel, für dessen Existenz
wir einzutreten haben.

Es darf dabei nicht außer Acht gelassen werden, dass auch für
einen in der Diaspora lebenden Juden, wie beispielsweise Ignatz
Bubis, seligen Angedenkens, der als Vorsitzender des Zentralrats der
Juden ganz selbstverständlich Deutscher war, dennoch der Staat Israel
eine besondere Bedeutung gehabt hat. Dass sich Bubis in Israel und
nicht in Deutschland beisetzen ließ, sollte jedenfalls daran
erinnern, dass auch für das jüdische Volk in der Diaspora der Staat
Israel nie ein Staat wie jeder andere sein kann. Auch für uns
Protestanten kann der Staat Israel daher kein Staat wie jeder andere
sein.

"Zeichen der Treue Gottes"

Nochmals komme ich auf Karl Barth zurück, der neben der
"Geschichte der Kirche" schließlich auch "die Geschichte der Juden"
als "Zeichen und Zeugen" dafür benannt hat, "daß auch das allgemeine
Weltgeschehen tatsächlich von [...] dem regiert wird, der [...]
'Gott' heißt." Betrachtet man die Geschichte der Kirche oder die
Geschichte des jüdischen Volkes aus einer anderen als der dezidiert
theologischen Perspektive heraus, so "werden und müssen [...] sie als
Zeichen und Zeugen bestimmt übersehen werden." Als Christinnen und
Christen nehmen wir nun aber Gott in Anspruch, um "unter der
Voraussetzung seines unbestreitbaren Daseins [...] unsere Erfahrungen
in und mit der Welt zu interpretieren." Von der Geschichte der
Kirche und von der Geschichte des jüdischen Volkes als "Zeichen und
Zeugen" für Gottes Wirken in der Welt zu sprechen, betreibt dabei
gerade keine Geschichtstheologie, erhebt nicht die Geschichte zur
Offenbarung, sondern nimmt vielmehr umgekehrt die Offenbarung für die
Interpretation der Geschichte in Anspruch.

Genau in dieser Linie theologischer Interpretation hat die Synode
unserer rheinischen Kirche 1980 von der Erkenntnis gesprochen, dass
für uns nach der Shoa "die fortdauernde Existenz des jüdischen
Volkes, seine Heimkehr in das Land der Verheißung und auch die
Errichtung des Staates Israel Zeichen der Treue Gottes gegenüber
seinem Volk sind." Auch wenn diese Formulierung immer wieder
missverstanden worden ist und wir gerade in letzter Zeit immer wieder
heftig dafür angegriffen werden, auch im Rheinland selbst: Die
Errichtung des Staates Israel als Ausdruck des Ãœberlebens des
jüdischen Volkes nach der Shoa kann als "Zeichen der Treue Gottes"
interpretiert werden, ohne den Staat Israel dadurch religiös zu
überhöhen. Die zahlreichen Kritiker dieser Formulierung irren mit
ihren Unterstellungen hier immer wieder. Der Terminus "Zeichen" ist
nämlich zunächst ein kritischer Begriff im Sinne von "nur Zeichen":
"Der Synodalbeschluss wehrt sich damit gegen eine falsche und
theologisch nicht gerechtfertigte [...] Eschatologisierung des Landes
und Staates Israel [...], was eine nahezu völlige Bejahung der
jeweiligen Politik des Staates Israel zur Folge hätte." Andererseits
ist der Begriff "Zeichen" aber durchaus auch affirmativ zu verstehen,
und zwar im Sinne von "immerhin doch auch Zeichen". Die Rede von
einem "Zeichen der Treue Gottes" wehrt sich gegen ein rein
spiritualisiertes Verständnis aller Verheißungen für Israel und für
die Völker.

Ãœber die Frage, ob sich in der Errichtung des Staates Israel dabei
biblische Verheißungen erfüllt haben, ist damit wohlgemerkt noch
keine Aussage gemacht. Mir scheint auch, diese Frage könnten nur
Jüdinnen und Juden stellen und für sich beantworten. Als Nichtjuden
würden wir mit dieser Frage "wieder die Juden zum Gegenstand unserer
theologischen Betrachtung machen von einem scheinbar überlegenen
Standpunkt aus."

Die Aufgabe des Staates "für Recht und Frieden zu sorgen" (Barmen
V)

In der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 heißt es in These
5: "Die Schrift sagt uns, daß der Staat nach göttlicher Anordnung die
Aufgabe hat, in der noch nicht erlösten Welt [...] nach dem Maß
menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und
Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen." - Diese
Aufgabe, für ein größtmögliches Maß an "Recht und Frieden" zu sorgen,
verpflichtet den Staat Israel wie auch allen anderen Staaten
gleichermaßen. An diesem Kriterium gemessen müssen wir uns aus
protestantischer Sicht immer wieder entsetzen über das Versagen der
palästinensischen Autonomiebehörde, über die Aggressivität der Hamas
im Gaza-Streifen, über die Regierungen der arabischen Staaten im
Nahen Osten, aber leider auch über die gegenwärtige Regierung
Israels. Es erfüllt mich mit großer Sorge, wenn neben vielen anderen
der ehemalige israelische Botschafter in Südafrika kürzlich in einem
Leitartikel in der Süddeutschen Zeitung davor gewarnt hat, dass die
gegenwärtige Regierung unter Netanjahu immer mehr Gesetze
verabschiedet, die den demokratischen Charakter des Staates Israel
bedrohen. Konkret verweist Alon Liel auf erschreckende "Parallelen
zum Apartheidsstaat", wenn in Israel ein vorgelegter Gesetzentwurf
verabschiedet werden soll, der Menschenrechtsgruppen massiv in ihrer
Arbeitsmöglichkeit einschränken würde. Um hier nicht missverstanden
zu werden: Den Staat Israel mit dem Apartheidsregime Südafrikas zu
vergleichen halte ich nicht nur wegen der damit verbundenen Polemik
für nicht hilfreich, sondern ich halte einen solchen grundsätzlichen
Vergleich für schlicht falsch. Israel ist kein Apartheidsstaat. Umso
mehr müssen allerdings einzelne Gesetzesinitiativen in der Knesset
beunruhigen und auch deutlich kritisiert werden, die die jetzige
Regierung in jüngster Vergangenheit eingebracht hat und die zum Teil
auch schon durchgesetzt wurden, die in ihrem Charakter
anti-demokratisch genannt werden müssen: Das Verbot der Erinnerung an
die sog. "Nakba" muss hier ebenso erwähnt werden, wie das im Juli
vergangenen Jahres verabschiedete Gesetz, das Boykott-Aufrufe gegen
die israelischen Siedlungen im palästinensischen Westjordanland unter
Strafe stellt. Ernst nehme ich auch die Warnung des israelischen
Staatspräsidenten Peres vor Rassismus in manchen israelischen
Gesellschaftsbereichen.

Die Aufgabe der evangelischen Kirche sehe ich darin,
freundschaftlich und tief verbunden dem Staat Israel zur Seite zu
stehen. Diese Freundschaft schließt Kritik ein: Der Hinweis auf
gesellschaftliche Fehlentwicklungen und alltägliche
Diskriminierungen; den Widerspruch gegen politische Entscheidungen,
die zu Ungerechtigkeiten und Unfrieden führen wie z.B. die
Siedlungspolitik und die Erteilung bzw. Verweigerung von
Baugenehmigungen.

Dabei werden wir uns als evangelische Kirche allerdings davor
hüten zu meinen, es wäre an uns, von außen diese Konflikte lösen zu
wollen. Lösen können den Konflikt nur die Konfliktparteien selbst.
Besserwisserei unsererseits verbietet sich.

4Biblische Hoffnungsperspektive: Land für Frieden in einer
Zweistaaten-Lösung (Gen 13)

Die protestantische Perspektive auf den Staat Israel und damit
gleichzeitig auch auf den Zusammenhang des Nahost-Konflikts, sehr
geehrte Damen und Herren, möchte ich nicht ohne eine kurze biblische
Betrachtung abschließen. "Sola scriptura", so lautete ja schließlich
eine der Säulen der Reformation.

Einer der biblischen Texte, der m.E. besondere Hoffnung auf dem
Weg zu einer Lösung des Nahost-Konflikts begründen könnte, steht im
Ersten Buch Mose im 13. Kapitel. Der kurze Text erzählt davon, wie
Abram und Lot in verschiedene Gebiete auseinandergehen, weil sie
zuvor ständig in Konflikt gerieten (V. 6ff):

"Das Land aber ertrug es nicht, dass sie beieinander blieben, denn
ihre Habe war so groß geworden, dass sie nicht beieinander bleiben
konnten. So kam es zum Streit zwischen den Hirten der Herde Abrams
und den Hirten der Herde Lots. Damals wohnten die Kanaaniter und
Perissiter im Land. Da sprach Abram zu Lot: Es soll kein Streit sein
zwischen mir und dir, zwischen meinen Hirten und deinen Hirten, denn
wir sind Brüder. Steht dir nicht das ganze Land offen? So trenne dich
von mir! Gehst du nach links, so will ich nach rechts gehen; gehst du
nach rechts, so will ich nach links gehen. Da blickte Lot auf und
sah, dass die ganze Jordan-Ebene ein wasserreiches Land war. [...] Da
wählte sich Lot die ganze Jordan-Ebene, und Lot brach nach Osten auf.
So trennten sie sich: Abram ließ sich im Land Kanaan nieder, und Lot
ließ sich in den Städten der Ebene nieder und zog mit seinen Zelten
bis nach Sodom."

Wohl gemerkt, unmittelbar nach Abrams Berufung und der
Landverheißung an ihn (Gen 12) folgt dieser Text in der biblischen
Erzählung. "Land für Frieden" könnte man ihn überschreiben. Von einer
Zweistaaten-Lösung handelt er, die nicht nur damals, sondern auch
heute noch die vorerst einzige Perspektive für eine friedliche
Koexistenz zu sein scheint.

Literaturverzeichnis

KARL BARTH, Die Kirchliche Dogmatik. Von der Lehre der Schöpfung.
III/3, Zollikon-Zürich 1950. KARL BARTH, Rechtfertigung und Recht.
Christengemeinde und Bürgergemeinde (= Theologische Studien, Bd.
104), Zürich 19843. EVANGELISCHE KIRCHE IN DEUTSCHLAND, Christen und
Juden I-III. Die Studien der Evangelischen Kirche in Deutschland
1975-2000, Gütersloh 2002. HELMUT GOLLWITZER, Vietnam, Israel und die
Christenheit, München 1967. C. H. J. DE GEUS, The fascination for the
Holy Land during the centuries, in: Edward Noort u.a. (Hg), The land
of Israel in Bible, history, and theology. Studies in honour of Ed
Noort, Leiden, Boston 2009, S. 405-413. VOLKER HAARMANN,
Synodalbeschluss unter Beschuss!? Alte Thesen und ihre bleibende
Relevanz für die Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden,
in: Ökumenische Rundschau 63, 2 (2012). [in Druck] BERTOLD KLAPPERT,
Zeichen der Treue Gottes, in: Bertold Klappert u. Helmut Starck (Hg),
Umkehr und Erneuerung. Erläuterungen zum Synodalbeschluss der
Rheinischen Landessynode 1980 "Zur Erneuerung des Verhältnisses von
Christen und Juden", Neukirchen-Vluyn 1980, S. 73-88. ALON LIEL, Wie
einst in Südafrika. Israel plant ein Gesetz, das
Menschenrechts-Gruppen die Arbeit erschwert, in: Süddeutsche Zeitung,
29.12.2011. C. LINK, Die Krise des Vorsehungsglaubens. Providenz
jenseits von Fatalismus, in: EvTh 65 (2005), S. 413-428. ROLF
RENDTORFF, Israel und sein Land. Theologische Ãœberlegungen zu einem
politischen Problem (= Theologische Existenz heute, Bd. 188), München
1975. SZ, Boykott-Gesetz, in: Süddeutsche Zeitung, 12.7.2011. M.
STÖHR, Sind Christen zur Solidarität mit Israel verpflichtet?, in:
Frank Crüsemann (Hg), Ich glaube an den Gott Israels. Fragen und
Antworten zu einem Thema, das im christlichen Glaubensbekenntnis
fehlt (= Kaiser-Taschenbücher, Bd. 168), Gütersloh 20012, S. 110-113.
JOCHEN VOLLMER, Vom Nationalgott Jahwe zum Herrn der Welt und aller
Völker. Der Israel-Palästina-Konflikt und die Befreiung der
Theologie, in: Deutsches Pfarrerblatt, 8 (2011), S. 404-409. KLAUS
WENGST, Ein Staat wie kein anderer. Die Verbindung des Volkes Israel
mit dem Land Israel ist biblisch begründet, in: Zeitzeichen 12, 7
(2011), S. 27-28. RAPHAEL JEHUDA ZWI WERBLOWSKY, Erfüllung, nicht
Erfindung. Israel ist nicht länger ein Programm oder ein frommer
Wunsch, in: Schalom 13, 3 (1980), S. 10-16.



Pressekontakt:
Evangelische Kirche in Deutschland
Reinhard Mawick
Herrenhäuser Strasse 12
D-30419 Hannover
Telefon: 0511 - 2796 - 269
E-Mail: reinhard.mawick(at)ekd.de


Themen in dieser Pressemitteilung:


Unternehmensinformation / Kurzprofil:
drucken  als PDF  an Freund senden  Sich gegenseitig in der Hoffnung bestärken
Gebetswoche für die Einheit der Christen 2012 PHOENIX-LIVE: Aktuelle Stunde zur
Bereitgestellt von Benutzer: ots
Datum: 17.01.2012 - 13:45 Uhr
Sprache: Deutsch
News-ID 555458
Anzahl Zeichen: 28677

Kontakt-Informationen:
Stadt:

Hannover



Kategorie:

Außenhandel



Diese Pressemitteilung wurde bisher 0 mal aufgerufen.


Die Pressemitteilung mit dem Titel:
""Solidarität zu Israel - trotz Kritik"
EKD-Ratsvorsitzender zum Verhältnis der Kirche zum Staat Israel
"
steht unter der journalistisch-redaktionellen Verantwortung von

EKD Evangelische Kirche in Deutschland (Nachricht senden)

Beachten Sie bitte die weiteren Informationen zum Haftungsauschluß (gemäß TMG - TeleMedianGesetz) und dem Datenschutz (gemäß der DSGVO).


Alle Meldungen von EKD Evangelische Kirche in Deutschland