(ots) - von Norbert Mappes-Niediek
Diese Entscheidung, sagte Premier Zoran Milanovic feierlich,
"haben wir selbst getroffen, niemand sonst". Es klang, als hätte sein
Land sich soeben aus einer Abhängigkeit befreit - und nicht wie der
Entschluss zum Beitritt in einen Verbund, der ihnen viele wichtige
Entscheidungen wieder aus der Hand nimmt. Ob Kroatien jetzt
erfolgreich sei, fuhr der Premier fort, hänge "nur von uns selber ab"
- eine trotzige Behauptung bei dem Fatalismus, mit dem die Wähler des
Landes sein weiteres Schicksal betrachten. Die Skepsis, die vor der
Abstimmung kaum jemand öffentlich äußerte, ist auf einmal da - als
Kater. 66,27 Prozent, knapp zwei Drittel, haben bei der Abstimmung am
Sonntag für den Beitritt Kroatiens zur EU votiert, 33,13 Prozent
waren dagegen. Nicht einmal formal ist das ein besonders gutes
Ergebnis; von den Beitrittsländern des letzten Jahrzehnts gab es nur
auf Malta prozentual weniger Ja-Stimmen. Zu einem Alarmzeichen macht
das Ergebnis aber die "schändlich niedrige Beteiligung", wie ein
Kommentator es ausdrückte: Mit 43,6 Prozent lag sie noch unter der
ungarischen und weit unter jeder Parlaments- oder Präsidentenwahl.
Rechnet man aus, wie viele Kroaten wirklich für den EU-Beitritt
gestimmt haben, kommt man auf schwache 28,6 Prozent. 2003 waren es im
euroskeptischen Ungarn immerhin 38 Prozent, und in der Slowakei, wo
die Wähler kaum zur Urne zu bringen waren, 48 Prozent. Wäre für das
Referendum am Sonntag nicht eigens das übliche Quorum von 50 Prozent
aufgehoben worden, stünden die EU und das politische Zagreb belämmert
da. Das "große europäische Ja", das Präsident Ivo Josipovic am
Sonntagabend beschwor, mochte nicht zünden und verlosch geschwind.
Schon gestern wandte sich die Öffentlichkeit wieder der
bevorstehenden Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 25 Prozent zu. Dabei
ist die Orientierung auf Europa eigentlich eine Konstante der
kroatischen Politik. Alle ernst zu nehmenden Parteien, die
Gewerkschaften, die Kirche, selbst die erznationalen
Veteranenverbände hatten zur Zustimmung geraten. Kroatien hat in den
zwanzig Jahren seines Bestehens allerlei Turbulenzen erlebt und
Irrwege beschritten. Aber wenn es um Europa ging, haben seine Bürger
sich noch immer zusammengerissen. Schon als der Gründungspräsident
Franjo Tudjman sich mit Nationalismus und Korruption vom Ziel des
Beitritts entfernte, besann sich die Nation und bescherte seiner
Partei eine verheerende Niederlage. Die Szene der Beitrittsgegner in
Kroatien hatte dagegen kaum nennenswerte Sprecher, keinen Apparat,
kein schlagendes Argument. Ein Nein war undenkbar. Kroatien, muss man
schließen, hat eher "tja" als "ja" gesagt: Man ist nicht für die EU,
aber erst recht nicht gegen Europa. Hoffnungen verbinden sich mit dem
Beitritt keine mehr, allenfalls die Angst vor gefährlicher Isolation
spricht für die Mitgliedschaft im Klub. Alle Skepsis ging in die
Enthaltung. Selbst auf dem Balkan hat Europa, das Zauberwort in
dunkler Zeit, seine Strahlkraft verloren. Was in Kroatien so gerade
noch durchging, steht weiter südöstlich nun schon im Zweifel. In
Serbien, Bosnien, in Albanien und erst recht im Kosovo haben es die
Europa-Freunde zunehmend schwer. Den Nationalisten und den
kleptokratischen "Businessmen" gibt die Skepsis Auftrieb. Zu den
unzähligen Ratgebern, die die Kroaten vor dem Referendum zu freudiger
Zustimmung ermuntert haben, gehörte auch ein ganz unverhoffter:
Milorad Dodik, der Präsident der bosnischen Serbenrepublik Srpska.
Ausgerechnet der bullige "Serbenführer", der Tag um Tag seine Sträuße
mit europäischen Politikern ausficht, sah sich genötigt, ein
Bekenntnis zu Europa abzulegen. Es ist ein Alarmzeichen, denn es
lässt ahnen, was für Kräfte dem Manne auf den Fersen sind. Die Phase
der gönnerhaften Bräsigkeit in der Südosterweiterung ist seit Sonntag
jedenfalls vorbei. Von jetzt an wird Europa sich um den Beitritt des
Balkan aktiv bemühen müssen, wenn es an seinen Grenzen keinen neuen
Nahen Osten haben will.
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