(ots) - Es war ein Titel wie ein Schlag in die
Magengrube: "Wir haben Schettino, ihr habt Auschwitz" stand am 27.
Januar, am Gedenktag für die Opfer der Schoah, auf der ersten Seite
der italienischen Zeitung "Il Giornale". Die gehässige Überschrift
war die Reaktion auf einen herablassenden Spiegel-Online-Artikel.
Darin wurde die Fahrerflucht Francesco Schettinos, Kapitän des
verunglückten Kreuzfahrtschiffs "Costa Concordia" mit dem
"italienischen Volkscharakter" erklärt und behauptet, zu einer
solchen Tat wäre ein deutscher oder britischer Kapitän nie fähig
gewesen. Nun ist "Il Giornale" - das Blatt gehört der Familie von
Ex-Premier Berlusconi - für knallharten Populismus bekannt. Aber mit
dem Skandal-Titel surft die Zeitung auf einer Welle antideutscher
Stimmung. Seit Monaten fühlt man sich südlich der Alpen
herumkommandiert von den europäischen Führungsnationen Frankreich und
vor allem Deutschland. Die Bevölkerung ist hart getroffen von dem von
Europa gewollten Spardiktat, das Mario Montis mit ehemaligen Bankern
besetzte Regierung in die Tat umsetzt. Unter ihr sind die
Mehrwertsteuer gestiegen, Benzinpreise und Besteuerung niedriger
Renten nach oben geschnellt. Die Hoffnung nach einer neuen,
gerechteren Politik nach der Ära des korrupten Polit-Kaspers
Berlusconi haben sich bisher nicht erfüllt. Die
Jugendarbeitslosigkeit hat einen Rekordwert von über 30 Prozent
erreicht. Im vermeintlich reichen Norditalien bringen sich
reihenweise von der Krise gebeutelte Kleinunternehmer ums Leben -
während die Politik sich weiter erfolgreich dagegen sträubt, auf
astronomische Gehälter, absurde Privilegien und überflüssige Behörden
zur Versorgung von Günstlingen zu verzichten. Italien hat sich mit
Berlusconis Rücktritt seiner größten Schande entledigt, aber den
Menschen geht es eher noch schlechter als vorher. Keine Frage,
Italien braucht einen rigiden Sparkurs, um nicht unterzugehen. Aber
Schuld an der Misere ist ein malades politisches System, von dem nur
wenige profitiert haben. Und die Zeche bezahlen jetzt vor allem die
Ehrlichen. Diese Ungerechtigkeit macht viele wütend - besonders auf
Europa und damit auf Deutschland. Schließlich scheint den EU-Granden
nur daran gelegen, dass Italien seinen Staatshaushalt saniert. Ohne
darauf zu achten, wie stark der Durchschnittsbürger darunter leidet.
Diese Haltung spielt Populisten und Scharfmachern in die Karten, die
- wie "Il Giornale" - den "Feind von außen" heraufbeschwören und
vergessen geglaubte Ressentiments wieder hochkochen lassen. Und aus
deren Sicht eignet sich Deutschland aufgrund seiner Vormachtstellung
vortrefflich für diese Rolle. Dabei war Deutschland jahrelang ein
großes Vorbild gerade für progressive Kräfte in Italien, die sich
gegen die Regierung Berlusconi einsetzten. Wegen seines im
europäischen Vergleich gerechten Gesellschaftssystems, wegen
vergleichsweise hoher sozialer Standards und der Chancen, die die
brummende deutsche Wirtschaft jungen, qualifizierten Arbeitskräften
bot. Die deutsche Regierung täte gut daran, an dieses positive Image
anzuknüpfen - und in ihrer Rolle als politische Triebkraft der EU
nicht nur immerfort das Sparen zu predigen, sondern auch darauf zu
achten, dass die bitter nötigen Einschnitte nicht ausschließlich auf
den schwächeren Schultern lasten. Sonst wird die antideutsche Welle
in Italien weiter anschwellen - und nicht nur dort.
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