(ots) - Die Katastrophe von Fukushima vor einem Jahr
hat in der deutschen Politik ein radikales Umdenken ausgelöst. Bis
2022 sollen alle Atomkraftwerke vom Netz gehen. Auch in Japan, wo 55
statt wie in Deutschland 17 Meiler stehen, wird mittlerweile über
einen Atomausstieg nachgedacht. Das ist ein Schritt in die richtige
Richtung - aber er reicht noch lange nicht aus. Nötig sind zum einen
durchdachte Konzepte zur Umsetzung der Energiewende und zum anderen
der politische Wille für ein Umdenken in Sachen Atomenergie. Doch
danach sieht es derzeit nicht aus: Statt Atomkraftwerke abzuschalten,
werden weltweit neue gebaut - vor allem in China und Indien, aber
auch in Russland, den USA und Frankreich. Mit 58 Atommeilern toppt
unser westlicher Nachbar sogar Japan. Viele Franzosen heizen mit
Strom, der deutlich billiger ist als in Deutschland. Atom-Lobbyisten
bemühen oft das Argument, dass Atomstrom sauber ist, da kein CO2
freigesetzt wird. Das mag richtig sein. Sicher und günstig, wie
ebenfalls gerne behauptet wird, ist der Atomstrom allerdings nicht.
Was in dieser Rechnung ausgeklammert wird, sind die immensen Kosten
für die Aufbereitung und die - ohnehin noch größtenteils ungeklärte -
Endlagerung des Atommülls sowie die Risiken einer Katastrophe wie in
Japan. In einem derart erdbeben- und tsunamigefährdeten Land
überhaupt Atomkraftwerke zu bauen, war ein grundlegender Fehler. Dass
es so lange gut ging, hat den Japaner ein trügerisches
Sicherheitsgefühl vermittelt. Der Schock von Fukushima sitzt nun umso
tiefer - dabei sind die Langzeitfolgen noch gar nicht abzusehen.
Nachrichten über erhöhte Strahlenwerte bei Lebensmitteln wie Tee oder
Rindfleisch verunsichern die Menschen, zumal Japaner beim Essen sehr
auf Qualität achten und viele etwa Produkte aus China wegen möglicher
Pestizidbelastung vermeiden. Experten erwarten in den kommenden
Jahren steigende Krebsraten. Junge Japaner befürchten Spätfolgen bei
ihren noch ungeborenen Kindern. Ein weiteres Problem ist es, die
Menschen unterzubringen, die durch die Atomkatastrophe ihre Heimat
verlassen mussten - die Gegend um Fukushima wird wohl auf Jahrzehnte
unbewohnbar sein und Japan ist ohnehin schon dicht besiedelt: Auf
einer Fläche, die nur unwesentlich größer ist als Deutschland, leben
127 Millionen Menschen - hierzulande sind es 82 Millionen. Japan hat
auf die Atomenergie gesetzt, weil es wenig Bodenschätze besitzt -
etwa keine eigenen Ölvorkommen. Der Ausbau erneuerbarer Energien
wurde bisher vernachlässigt, obwohl das Land großes Potenzial für
Wasser- und Windkraftanlagen, Geothermie und Photovoltaik hat. Ein
Hemmschuh sind die Verflechtungen von Politik und Wirtschaft: Die
Atom-Lobby hat in Japan großen Einfluss. So gehört Toshiba zu den
Weltmarktführern im Nukleargeschäft. Der im September 2011
zurückgetretene Premierminister Naoto Kan hatte sich für einen
Ausstieg aus der Atomenergie ausgesprochen. Ob sein Nachfolger
Yoshihiko Noda das umsetzen wird, ist noch fraglich. Für eine
Energiewende wären enorme Investitionen nötig, etwa für den Ausbau
von Stromnetzen - und Japan ist hochverschuldet. Durch die Maßnahmen
könnte die Wirtschaft aber auch wieder angekurbelt werden. Japan hat
jetzt die Chance auf einen Neuanfang ohne Atomenergie - wenn die
Verantwortlichen den politischen Willen dafür aufbringen. Die
Bevölkerung könnte ihren Teil dazu beitragen: Fukushima hat das
Vertrauen in die Politik und die Wirtschaft erschüttert, erstmals
seit den Studentenprotesten der Jahre 1960 und 1968 kam es in Tokio
und anderen japanischen Städten wieder zu großen Demonstrationen -
diesmal gegen Atomkraft.
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