(ots) - Mut kann man der Bundeskanzlerin nicht absprechen.
Dass Angela Merkel in der emotional aufgeladenen und damit höchst
unsicheren Lage zu einem Solidaritätsbesuch der deutschen Soldaten in
Afghanistan geflogen ist, spricht für sie. Die Umstände ihres
Stundenbesuchs zehn Jahre nach Beginn der Befriedungsbemühungen am
Hindukusch sprechen allerdings Bände. Mehr oder minder bei Nacht und
Nebel samt allem nur erdenklichen Sicherheitsaufwand kreuzte Merkel
bei den Soldaten auf. Von einer friedlichen Entwicklung ist
Afghanistan trotz aller Mühen und Opfer der Weltgemeinschaft noch
immer so weit entfernt wie einst die DDR von der Demokratie.
Besonders desillusionierend: Die Stimmung im Land kippt weiter und
stärkt die, die allen Fortschritt zur Todsünde erklären. Dass die
westlichen Helfer wesentlichen Anteil an diesem Desaster haben, ist
tragisch. Statt alles zu tun, um die Herzen der nach Recht und
Gesetz, nach Bildung und Befreiung aus der Armut dürstenden Menschen
zu gewinnen, werden deren Kultur, ihre Religion und ihre Tradition
viel zu oft sträflich missachtet. Das Urinieren auf tote Taliban, die
Koran-Verbrennung und nun auch noch die Erschießung von Kindern und
deren Müttern im Schlaf haben Wut, Empörung und neue Feindschaft
denen gegenüber ausgelöst, die als vermeintliche Befreier ins Land
gekommen sind. Das anfängliche Vertrauen in weiten
Bevölkerungskreisen ist verbreitetem Misstrauen gewichen. Es wird
noch bestärkt durch eine Regierung Karsai, die schwach, korrupt und
höchst unzuverlässig ist. Je nach eigenem Vorteil taktiert sie mal
mit Taliban und Warlords, mal mit dem internationalen Hilfskorps. Es
ist schon erstaunlich, wenn die Bundeskanzlerin bei ihrem
Truppenbesuch angesichts dieser Lage den bis Ende 2014 geplanten
totalen Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan infrage stellt. Auch
sie weiß um das Misstrauen, das längst auch zwischen den
Isaf-Soldaten und den von ihnen ausgebildeten heimischen
Sicherheitskräften herrscht. Ein Spaltpilz, der mit jedem weiteren
Teilrückzug wachsen und in massenhaften Überläufen zu den Taliban
enden wird, je näher der endgültige Abzugstermin rückt. Denn die
Regierungssoldaten sind nicht nur schlecht bezahlt, ihre
Kampffähigkeit ist nach aller Erfahrung auch der der Taliban
unterlegen. Die innenpolitisch motivierte Verkündung eines
Abzugstermins durch die wichtigsten westlichen Regierungen war der
GAU für Afghanistan. Sie kommt dem Eingeständnis gleich, dass selbst
mit bescheidenen Erfolgen nicht mehr gerechnet wird. Zu groß sind
letztlich die kulturellen Unterschiede und Missverständnisse, als
dass die Mission Afghanistan hätte gelingen können. Vor zehn Jahren
war ich anderer Meinung. Aber je aussichtsloser die Lage wird, desto
realistischer müssen die Konsequenzen sein. Statt laut über eine
Verlängerung des Einsatzes deutscher Soldaten zu sinnieren, sollte
die Kanzlerin besser über einen früheren Abzug nachdenken. Über einen
geordneten, mit den Verbündeten abgestimmten. Was sollen deutsche
Soldaten noch zwei Jahre in einem Land, in dem selbst das Parlament
den "ausländischen Truppen" den Rückzug nahelegt?
Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd(at)axelspringer.de