PresseKat - Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zur weiter andauernden Haft der ukrainischen Ex-Regierungschef

Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zur weiter andauernden Haft der ukrainischen Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko

ID: 611506

(ots) - Ein Spiel ohne Sieger

Nicht nur Janukowitsch hat sich im Fall Timoschenko verzockt. Auch
Deutschland macht keine gute Figur.

Im Zentrum von Kiew zeigt ein digitaler Countdown an, wie viele
Tage noch bis zur Fußball-Europameisterschaft in Polen und der
Ukraine verbleiben. Am Mittwoch waren es 65. Ein paar hundert Meter
weiter haben Anhänger der inhaftierten Julia Timoschenko ebenfalls
eine Anzeigetafel installiert. Dort notieren sie per Hand, seit wie
vielen Tagen die Oppositionsführerin bereits im Gefängnis sitzt. Am
Mittwoch waren es 213. Zwischen der nahenden EM und der andauernden
Haft gibt es eine Verbindung. Der ukrainische Präsident Viktor
Janukowitsch möchte sein Land im Sommer als weltoffenen Teil Europas
präsentieren. Seit aber Timoschenko hinter Gittern sitzt, weil sie
einst als Regierungschefin ihr Amt missbraucht haben soll, nimmt
niemand mehr Janukowitsch seine verbalen Bekenntnisse zu Freiheit und
Demokratie ab. Der Schuldspruch gegen seine Widersacherin gilt im
Westen als politisch gesteuerter Akt einer Rachejustiz. Nun jedoch,
rund zwei Monate vor der EM, signalisiert Janukowitsch seinen
europäischen Kritikern Entgegenkommen. Timoschenko, die an starken
Rückenschmerzen leidet, darf das Gefängnis für eine Behandlung
verlassen. Spekuliert wird zudem über eine Operation in Deutschland.
Bei näherem Hinsehen entpuppt sich die Volte des Präsidenten aber als
taktisches Spiel. Es hat einen simplen Handel gegeben. Timoschenko
wird das Leben hinter Gittern erleichtert, und Janukowitsch kann sich
wieder europäisch geben. Am vergangenen Freitag paraphierte die EU
nicht von ungefähr das im Dezember auf Eis gelegte
Assoziierungsabkommen mit der Ukraine. Doch wie geht es weiter? Eine
Behandlung Timoschenkos in Deutschland ist unwahrscheinlich.
Janukowitschs Mann fürs Grobe, der stellvertretende




Generalstaatsanwalt Renat Kusmin, hat bereits darauf hingewiesen,
dass es keine "Lex Timoschenko" geben wird. In den Gefängnissen gebe
es genug andere Insassen mit Rückenschmerzen, die nicht im Ausland
behandelt werden. Möglich ist, dass westliche Ärzte Timoschenko
operieren - aber in der Ukraine. Derweil bereitet die Justiz weitere
Verfahren gegen die Oppositionsführerin vor, um sie dauerhaft aus dem
Rennen zu nehmen. Soeben übergab der Inlandsgeheimdienst einen Fall
angeblicher Steuerhinterziehung aus den 90er-Jahren einem Gericht.
Der Prozess beginnt in zwei Wochen. Unabhängige Beobachter sind sich
einig, dass es sich auch dabei um einen Akt politischer Willkürjustiz
handelt. Timoschenko wird nicht so bald freikommen. Janukowitsch
fürchtet sie mehr denn je. Die Oppositionsführerin hat durch das
vermeintliche Martyrium ihrer Haft deutlich an Stärke gewonnen. In
Freiheit wäre sie für die Macht des Präsidenten eine existenzielle
Bedrohung. Die Beziehungen zur EU bleiben deshalb auf mittlere Sicht
blockiert. So gesehen stellt sich die Frage, ob sich Janukowitsch bei
seinem taktischen Spielchen nicht längst verzockt hat. Vor einem
halben Jahr, direkt vor dem Urteil gegen Timoschenko, hatte der
Präsident seinen EU-Partnern in die Hand versprochen, die 51-Jährige
nach einem symbolischen Schuldspruch zu amnestieren. Er hat sein Wort
nicht gehalten. Im eigenen Lager wollte Janukowitsch nicht als
Schwächling dastehen, und in Timoschenko sah er ein Faustpfand für
die weiteren Verhandlungen mit Brüssel. Dabei hat er nicht bedacht,
dass es sich die EU nicht erlauben kann und will, ein
Assoziierungsabkommen mit einem Land in Kraft zu setzen, dessen
Regierung permanent rechtsstaatliche und demokratische Grundsätze
verletzt. Aber auch die westlichen Staatenlenker haben bei all dem
keine besonders gute Figur abgegeben. Insbesondere Bundeskanzlerin
Angela Merkel steht dieser Tage düpiert da, nachdem Kiew die
Verhandlungen mit Berlin über eine mögliche Ausreise Timoschenkos
publik gemacht hat. Es hinterlässt den Eindruck von Dilettantismus,
wenn eine Regierung öffentlich über ihre Geheimdiplomatie plaudert,
wie Merkels Sprecher dies tat. Bei diesem Spiel, so hat es den
Anschein, gibt es nur Verlierer.

von Ulrich Krökel, MZ



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Datum: 04.04.2012 - 18:00 Uhr
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