Mit einem hochaktuellen Beschluss hat der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts eine weitere Norm kassiert, weil sie gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verstößt. Damit wird eine Tendenz klar: Eine Einschränkung dieses Grundrechts ist an immer höhere Hürden gebunden, was auch Auswirkungen auf das Datenschutzrecht im nicht öffentlichen Bereich hat (z.B. Auskunfteien, wie etwa die Schufa Holding AG). ilex erklärt, warum es künftig immer häufiger erfolgreiche Verfassungsbeschwerden geben wird, die sich auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung stützen.
(firmenpresse) - 1. Was hat das Bundesverfassungsgericht entschieden?
Der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts musste sich im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde im Wesentlichen mit der Verfassungsmäßigkeit der §§ 111 bis 113 des Telekommunikationsgesetzes (TKG), also mit der Frage, ob diese Normen mit dem Grundgesetz vereinbar sind auseinanderzusetzen. Einem nicht unerheblichen Teil dieser Norm attestierte das Bundesverfassungsgericht auch die Verfassungsmäßigkeit.
Mit Ausnahme des § 113 Absatz 1 Satz 2 TKG. Diese Norm sei nicht mit dem Grundgesetz, insbesondere nicht mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung vereinbar. Der Gesetzgeber muss bis zum 30. Juni 2013 diese Regelung ändern.
§ 113 Absatz 1 Satz 2 TKG verpflichtet, die die verantwortlichen Stellen, die über Zugangssicherungscodes (wie Passwörter, PIN oder PUK) den Zugang zu Endgeräten und Speicherungseinrichtungen sichern und damit die Betreffenden vor einem Zugriff auf die entsprechenden Daten beziehungsweise Telekommunikationsvorgänge schützen verfügen, diese Daten an die jeweils anfragenden und zuständigen Behörden zu geben. Problematisch ist nun, dass die Voraussetzungen für diese Auskunftspflicht ggf. geringer sind als diejenigen für die Nutzung der Daten.
Hierzu bemängelte das Bundesverfassungsgericht, das nicht ersichtlich sei, warum öffentliche Stellen Daten benötigen, die sie möglicherweise gar nicht benutzen dürfen.
2. Auswirkungen, die über den Beschluss hinausgehen
Die Entscheidung hat Auswirkungen, die über ermittlungstechnische und sicherheitspolitische Aspekte hinausgehen. Das Bundesverfassungsgericht trifft seit geraumer Zeit Entscheidungen, in denen Rechtsprechung, also Gerichtsurteile und/oder gesetzliche Normen kassiert werden, weil sie nicht mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung vereinbar sind. Prominentes Beispiel ist die Entscheidung zur Online-Durchsuchung (1 BvR 370/07; 1 BvR 595/07), wobei es zahlreiche weitere Entscheidungen gibt.
Mithin wirkt das Bundesverfassungsgericht immer häufiger die Bewahrung dieses Grundsatzes hin. Ein Abbrechen dieser Tendenz ist bei der derzeitigen Zusammensetzung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu erwarten. Bedenkt man die Tendenzen, die in der Datenschutzgrundverordnung zu ersehen sind, kann sogar eine Verstärkung dieser Linie - etwa auch auf europäischer Ebene - erwartet werden.
Es bleibt hier abzuwarten, wie das Bundesverfassungsgericht in Sachen BKA-Gesetz entscheiden wird.
Fakt ist, dass das Bundesverfassungsgericht sehr wohl bereit ist, Konstellationen anzuerkennen, in denen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingeschränkt werden darf. Doch diese Einschränkung muss verhältnismäßig sein, wobei die Anforderung hieran immer mehr steigen.Dies erklärt das Bundesverfassungsgericht zurecht, mit den gestiegenen Möglichkeiten der Nutzung von Daten.
3. Beispiel: Auskunfteien und Datenschutz
Diese Tendenz des Bundesverfassungsgericht gilt nicht nur für den Bereich Bürger-Staat. Im modernen Datenschutzrecht ist die Differenzierung zwischen öffentlich-rechtlichem und privatrechtlichem Datenschutz von geringer Bedeutung.
Etwa stellt sich die Frage, ob Auskunfteien aus öffentlichen Registern - z.B. Insolvenzbekanntmachungen, Schuldnerverzeichnissen -, die alle einem bestimmten Zweck dienen, Daten auf Vorrat recherchieren dürfen, ohne vielleicht dem ursprünglichen Zweck zu entsprechen. Auch wenn diese Frage umstritten ist, gibt es immer wieder Gerichtsentscheidungen, die diese Recherchepraxis bejahen.
Überspitzt formuliert, könnte gefragt werden: Ist diese ungefilterte Recherchepraxis der Auskunfteien zwingend erforderlich, um den Rechtsverkehr, insbesondere die Kredit- und/oder kreditähnliche Wirtschaft zu schützen? Oder kommt es nicht vielmehr auf eine Einzelfallbetrachtung an, der sich Gerichte im privatrechtlichen Bereich gelegentlich durch formelhafte Wendungen entziehen?
Bedenkt man die oben dargestellte Tendenz in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, ist die Findung einer Antwort nicht ganz einfach.
4. Fazit
Insgesamt sollte der heutige Beschluss in Ruhe ausgewertet werden. Ferner ist auch abzuwarten, wie sich das Bundesverfassungsgericht zum BKA-Gesetz verhält. Jedoch kann schon jetzt gesagt werden, dass die Tendenz verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung vor dem nicht öffentlichen Bereich,
insbesondere nicht vor dem Datenhunger von Auskunfteien stoppen wird.
Dr. Stephan Gärtner
Rechtsanwalt
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