(ots) - Das Fieber steigt, Hirnfunktionen werden
heruntergefahren, die Nation bereitet sich fröhlich auf einen Sommer
im Ausnahmezustand vor: Fußball-Europameisterschaft, Tour de France
und Olympia gehen nahtlos in die nächste Bundesliga-Saison über - die
Parade der schönen, starken Höchstleister wird Euro-Krise, Herdprämie
und sogar Seehofer zuverlässig überdecken. Millionen Deutsche taumeln
zwei Monate lang im Glück über öffentlich vollführte Leibesübungen.
Der Profisport und sein Publikum bilden ein merkwürdiges Reservat.
Allenthalben soll der böse Kapitalismus eingehegt werden, die Freunde
der Gerechtigkeit wollen gesellschaftlichen Wettbewerb reduzieren,
unter dem Druck eines komplexen Daseins wuchert das Burn-out. Nur im
Sport geht es knallhart zu wie im Piranha-Becken. Rund um die EM
werden Kicker für Hunderte von Millionen vertickt - Zockerei pur.
Wird ein erfolgloser Umweltminister völlig zu recht gefeuert, ruft
die Republik bei Amnesty International an. Werden Bender, Cacau und
Draxler aus der Nationalelf entfernt, regt sich keiner auf. In den
kommenden Wochen wird so gnadenlos gesiegt und verloren und
geschachert, wie es treusorgende Eltern ihren Kindern niemals zumuten
würden. Die Heldeninszenierung der Wettkämpfe macht es uns leicht,
Sportwelt und richtiges Leben zu trennen. Aber das ist eine Illusion.
Ob Schweinsteiger oder Harting, ob der unbekannte Bogenschütze oder
Kanuten ohne Namen - Athleten sind nicht aus dem Himmel hinab-,
sondern aus der Mitte unserer Gesellschaft aufgestiegen. Die, die wir
bewundern, sind Ãœberlebende einer brutalen Auslese. Wer je in einer
Sporthalle zusah, wie sich bereits Grundschüler schinden, der bekommt
erstens einen Eindruck, was die Superstars leisten, und zweitens eine
Idee, wie viele Talente unterwegs auf der Strecke geblieben sein
müssen. Die Nachwuchspflege im Fußball ist eben nicht nur lücken-,
sondern auch gnadenlos. Mögen alle D-Jugendlichen den Tag
unbeschadet überstehen, da ihnen mitgeteilt wird, dass sie wegen
mangelnder Leistung aus dem Team fliegen. Die Kollateralschäden des
Profisports sind kaum zu ermessen. Doppelter Kreuzbandriss mit 16,
Burn-out mit 17, ausgemustert mit 18, Sportinvalide ohne Ausbildung
nach zehn Jahren in der dritten Liga - Zehntausende junger Menschen
riskieren die besten Jahre ihres Lebens ohne jegliche Gewähr, jemals
oben anzukommen. In jedem Verein sind sie bekannt, die Fast-Stars von
gestern, die ganz nah dran waren am großen Sieg. Das Trauma der
Niederlage wirkt bei vielen bis heute nach. Leistungssport lebt eben
nicht nur von den Allerbesten, sondern vielmehr von den Träumen und
Hoffnungen, vom Ehrgeiz und Fleiß vieler Namenloser, die gut waren,
aber eben nicht gut genug. Immenser Verschleiß an Körpern und Seelen
- das ist die Schattenseite der bunten schönen Profisport-Show.
Respekt gebührt natürlich den Siegern. Aber auch allen, die es um
jeden Preis, aber leider vergeblich versucht haben.
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