(ots) - Wenn der Ball heute Abend endlich rollt, dürfte
der politische Wirbel der vergangenen Wochen in den Hintergrund
treten. Das ist gut so, im Sinne des Sports. Vergessen werden sollte
aber auch in dreieinhalb hoffentlich mitreißenden Fußballwochen
nicht, was im Co-Gastgeberland Ukraine derzeit passiert. Präsident
Viktor Janukowitsch kommt zur EM-Eröffnung nach Warschau. Er ist zu
Recht kein gern gesehener Gast. Es gibt zu größter Sorge Anlass, in
welchem Tempo er die Reste von Demokratie und Rechtsstaat in seinem
Land beseitigt. Janukowitsch hat eine Jagd auf politische Gegner
entfesselt und Dutzende Regimekritiker einkerkern lassen - nicht nur
Oppositionsführerin Julia Timoschenko. Dennoch waren manche Aktionen
und Reaktionen der vergangenen Wochen übertrieben. Im Westen war
zeitweise von einem EM-Boykott die Rede, Janukowitsch sprach von
einem "neuen Kalten Krieg". Diese Eskalation ist nur mit einem
grundlegenden Missverständnis zu erklären. In der EU sind viele
Politiker davon ausgegangen, dass sie es im Fall der Ukraine mit
einer Neuauflage der Osterweiterung zu tun haben - ohne Beitritt
zwar, das Prinzip jedoch war dasselbe: Mit dem goldenen Westen vor
Augen würde sich die Ukraine immer stärker demokratisieren. Am Ende
würden Freiheit und Wohlstand stehen. Das war ein Irrtum. In der
Ukraine regierten nach dem schmerzhaften Todeskampf der Sowjetunion
in den 90er-Jahren Rechtlosigkeit und staatlich gedeckte
Mafiakriminalität. Niemand im Westen kann ermessen, wie stark die
Jahrzehnte der Diktatur und die anschließende Anarchie auf den
mentalen Zustand des Volkes eingewirkt haben. Die Menschen sind Opfer
einer skrupellosen, macht- und geldgierigen Elite. Janukowitsch hat
seinerseits nicht begriffen, was es mit dem Projekt Europäische
Union, mit westlichen Werten und den EU-Forderungen nach ehrlichen
freiheitlichen Reformen in der Ukraine auf sich hat. Er trickst und
taktiert, um in Verhandlungen mit Brüssel das Optimum herauszuholen -
für sich und die herrschende Klasse, nicht für das Land und die
Menschen. "Gemeinsam Geschichte schreiben" lautet das Motto der
Fußball-Europameisterschaft. Wenn es in Polen und der Ukraine
gelingen sollte, dank des Sports wieder offener und ernsthafter nach
Gemeinsamkeiten zu suchen, dann wäre dies mehr als ein Sommermärchen.
Es wäre ein EM-Wunder.
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