(ots) - Wir Deutschen sind Europameister, beim schlechten
Gewissen. Darf man in die Ukraine zum Fußball fahren? Darf man
überhaupt Kicken gucken, wenn der Euro zum Endspiel antritt? Und was
sagt das Weltklima, wenn Hunderttausende Fans mit dem Auto nach Polen
fahren? Und überhaupt: Ist es nicht zynisch, wenn jungsche
Multimillionäre in kurzen Hosen einen Ball über den Rasen schubsen
inmitten griechischer Agonie, spanischer Wackeligkeit und
Schlecker-Frauen-Tragödien? Schluss jetzt! Wir können alle möglichen
schlechten Gefühle entwickeln. Wir müssen aber nicht. Dieses Turnier
kommt doch genau im richtigen Moment. Europa hat drei Wochen
Leichtigkeit verdient; vielleicht ist der verfahrenen Krisendebatte
sogar geholfen, wenn sich die Akteure entspannen und die Spanier
zeigen, was sie draufhaben. Die Menschen können sehr wohl trennen
zwischen täglicher Angst, zwischen Problemen, die es anzugehen geht,
und 90 Minuten Freude, Spannung, Jubel. Fußball zu lieben heißt ja
nicht, die Krisen zu ignorieren. Aber wir werden das Elend noch 90
Minuten vergessen dürfen, oder gar 120, plus Elfmeterschießen, gern
gegen England. Der Fußball ist die wahre Währung des Alten
Kontinents, eine überwiegend friedliche Glücks- und
Identitätsmaschine, die mehr Menschen einander näherbringt als jedes
gut gemeinte Austauschprogramm. Deutschland hat dem Rasensport seit
1954 unendlich viel zu verdanken: internationalen Respekt und ein
gewisses Zuverlässigkeits-Image, bei aller Hüftsteife. Hilfreich aber
waren vor allem jene Niederlagen, die das Bild vom teutonischen
Panzer korrigiert haben. Ob Tschechoslowaken, Dänen, Spanier - allen
gelang der Finalsieg gegen das übermächtig erscheinende Deutschland,
das seine Schlappen wiederum hinnahm, ohne mit einem Einmarsch zu
antworten. Gut so, wenn die Kleineren den Großen Beine machen dürfen.
Dieser Kontinent wäre nicht glücklicher, wäre das Wembley-Tor anders
entschieden worden. Mag der Fußball mit seinen Spekulationsblasen und
kranken Risiko-Investments, mit bösen Skandalen und dem bisweilen
wirren Funktionärskartell eher Krisen- als Aufbruchsstimmung
symbolisieren, so entscheiden nicht Geld, oder Gekungel ein Finale,
sondern Können. Und Glück. Eben hier liegt die Faszination - in der
Klarheit. Ein Ball, elf Mann, und rein die Pille. Wohltuend eindeutig
in Zeiten undurchsichtigen Euro-Gezockes. Joachim Löw ist der ideale
Botschafter eines modernen Deutschlands. Der Bundestrainer vereint
Leistungswillen und Kreativität, er lebt Begeisterung ebenso wie
"höchschte Disziplin". Löw und die goldene Generation haben jene
Haltung, vor allem aber diese thomas-müllersche Leichtigkeit
verstetigt, die 2006 beim Sommermärchen erstmals aufschien. Man kann
leistungsorientiert sein, spielerisch brillant und dennoch
sympathisch. Und vielleicht sogar erfolgreich. Und jetzt raus, ran,
rein. Entschieden wird auf dem Platz. Von Jungs, auf die wir stolz
sein dürfen, ohne schlechtes Gewissen.
Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd(at)axelspringer.de