(ots) - Der ägyptische Frühling hat nicht lange gedauert.
Am vergangenen Freitag verhängte das Militär, von jeher Staat im
Staate mit vielen Wirtschaftsunternehmen und unendlichen Pfründen und
Privilegien, den Ausnahmezustand. Das Verfassungsgericht ließ sich
Gründe einfallen, um das Parlament aufzulösen und die Muslimbrüder
von der Macht fernzuhalten. Sicherheitskräfte mit scharfer Waffe
forderten die neu gewählten Parlamentarier auf zu verschwinden. Doch
bei der Präsidentenwahl am Sonnabend siegte Mohammed Morsi, Kandidat
der Muslimbrüder, deren Machtbewusstsein umgebrochen ist. Die alte
Verfassung ist obsolet, eine neue muss erst noch geschrieben werden.
Die Frage ist: durch wen? Der Oberste Militärrat in Ägypten trat aus
dem Hintergrund an den vorderen Rand der Bühne, um dem Land das
Gesetz zu geben. Das war die Strafe dafür, dass die Mehrheit der
Wähler nach Ansicht des Militärrats falsch gewählt hatte. Aus der
abwartenden Skepsis der Militärs wurde offene Feindschaft und
Machtkampf. Die künftige Verfassung soll die neue Lage in Paragrafen
bringen. Die Fassade allerdings wird - schon mit Rücksicht auf
westliche Hilfsgelder, die dringend gebraucht werden - demokratisch
aussehen. Den Verlauf des Dramas aber bestimmt die eiserne Faust.
Während der sieche alte Pharao Husni Mubarak - auch er ein General
a.D. - im Sterben liegt, feiert sein System Wiederauferstehung. Vor
einem Jahr war es das Erfolgsgeheimnis des Protests, dass die
Soldaten die Demonstranten gewähren ließen, während diese um Duldung
durch das Militär warben. Heute erweist sich alles das als Illusion:
Mithilfe der öffentlichen Unruhe tauschten die Militärs unbequem
gewordene Spitzen des alten Regimes aus, eingeschlossen den Sohn
Mubaraks, den der Vater als Nachfolger wollte. Einige Militärs waren
schwer belastet, kamen aber trotzdem mit Freispruch davon. Jetzt sind
die Fronten klar - unheimlich klar. Wer Ägypten kennt, muss Unruhen
und Konfrontation zwischen Staatsgewalt und Muslimbrüdern fürchten,
zusammen mit dem Beiseiteschieben der schwachen
liberal-säkularistischen Kräfte. Unterdessen halten sich die die
christlichen Kopten, gewarnt durch islamistische Ausschreitungen, so
unsichtbar wie möglich. Wie geht es weiter? Den Frühling vom
Tahrir-Platz kann man annullieren, aber die Gedanken nicht ungedacht,
die Hoffnungen nicht ungehofft machen. Die Militärs sind in Ägypten
zurück, die Probleme sind geblieben: Massenarmut, Arbeitslosigkeit,
Korruption, dazu massenhafte Hoffnungslosigkeit der jungen Männer,
die keine Arbeit, keine Familie, keine Hoffnung haben. In Algerien
wurde vor zwei Jahrzehnten die islamistische Bewegung nach ihrem
Wahlerfolg abgestoppt, ebenfalls durch einen Militärschlag. Zu den
Folgen gehörten Massaker, ein blutiger Bürgerkrieg und die Lähmung
aller Entwicklung in Algerien. Wer kann heute ausschließen, dass
Ägypten nicht Ähnliches bevorsteht?
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