(ots) - Es gab einmal eine Zeit, in der die USA für
viele Menschen ein Symbol waren. Sie waren das Land, in dem jeder es
schaffen konnte, vom Tellerwäscher zum Millionär zu werden, wenn er
sich nur genug anstrengt. Diese Zeit ist vorbei. Sie ist genauso
Vergangenheit wie der feste Glaube der Amerikaner daran, dass ihre
Kinder es immer besser haben werden als sie selbst.
Unglücklicherweise fällt dieses Ende des amerikanischen Traums in die
Amtszeit eines Mannes, der doch eigentlich die nächste Stufe dieses
Traums darstellt. Barack Obama ist der erste Schwarze im Weißen Haus.
Mit ihm verbanden sich nicht nur die Hoffnungen des liberalen
Amerikas und die der westlichen, Bush-kritischen Welt. Er war auch
Hoffnungsträger der in vielen Bereichen immer noch
Unterprivilegierten, der Schwarzen und der Zuwanderer, die heute
schon in vielen Staaten die Mehrheit der Einwohner stellen. Obama
wusste, dass er ein schweres Erbe angetreten hatte. Sein zentrales
Versprechen auf "Change", auf den Wandel, war Zeugnis dessen. Er
wollte ein anderes Amerika, er versprach, dass dieses andere Land der
sozialen Gerechtigkeit, des Wachstums und des Friedens, dass diese
Vision möglich ist: "Yes, we can". Heute, nicht einmal vier Monate
vor dem Wahltag, ist von diesen Versprechen nichts mehr
übriggeblieben. Verwundert blicken nur die Menschen außerhalb der USA
auf die jüngste Umfrage, die Obama und seinen republikanischen
Herausforderer Mitt Romney gleichauf zeigen. In den USA wird es als
Erfolg gewertet, dass sich an dem Kopf-an-Kopf-Rennen seit Wochen
nichts geändert hat. Die meisten US-Bürger selbst würden sich seit
Monaten nicht darauf festnageln lassen, wer ihr nächster Präsident
ist. Nur so viel würden sie zugeben: dass ihr Land gepalten ist. Dass
Romney durchaus Chancen hat. Und dass Obama viele Menschen enttäuscht
hat. Denn: Wo ist der Wandel? Die USA haben nach wie vor dieselben
Probleme wie zu Obamas Amtsantritt. 16 Billionen Dollar Schulden,
eine Zahl mit zwölf Nullen, hat das Land, die Ausgaben im laufenden
Jahr übersteigen die Einnahmen um 1300 Milliarden. Der Krieg in
Afghanistan verschlingt jede Woche zwei Milliarden Dollar und kostet
nach wie vor amerikanische Leben. Guantánamo ist entgegen aller
Versprechen des Präsidenten immer noch in Betrieb, und an der Grenze
zu Pakistan führen die USA einen verdeckten Drohnenkrieg, der George
W. Bushs Krieg gegen den Terror kaum nachsteht. Die Arbeitslosigkeit
liegt bei acht Prozent. Die Armutsrate hat seit 2006 um drei Prozent
zugelegt, 2010 lebten mehr als 46 Millionen US-Bürger unter der
Armutsgrenze. Das Problem aber ist, dass Obamas Kontrahent Mitt
Romney es nicht besser machen wird. Im Gegenteil. Er will den
notwendigen Reformkurs stoppen oder umkehren. Die Republikaner wollen
den Haushalt sanieren, indem sie Steuern senken, in der Hoffnung,
dass die Wirtschaft wieder anspringt. Dabei haben die USA erlebt,
dass Zinssenkungen und Steuernachlässe, wie sie Ende 2008 auf dem
Höhepunkt der Krise beschlossen wurden, verpufften, weil die
Amerikaner ihr Geld nicht ausgeben wollten - aus Angst vor noch
schlechteren Zeiten. Sollte Romney die Wahl gewinnen, könnte es
dennoch sein, dass er Erfolge vorweisen kann. Nicht, weil sein
Programm so genial wäre. Sondern weil es derzeit erste Anzeichen
dafür gibt, dass die Reformen der Obama-Jahre greifen. Romney würde
dem Land aber keine neue Vision geben. Das zeigt der komplette
Wahlkampf der Republikaner, der vor allem eines tat: Er spaltete die
USA. Sicher: Obamas Demokraten haben ebenfalls mit harten Bandagen
gekämpft. Und sicher ist auch, dass Obama hinter seinen Versprechen
weit zurück geblieben ist; hinter dem Bild des Heilsbringers, das vor
allem im Ausland von ihm gezeichnet wurde (und das er sehr wohl mit
entwarf), sowieso. Aber die USA brauchen vor allem eines: einen neuen
amerikanischen Traum. Das Land muss sich kritisch hinterfragen und
die richtigen Schlussfolgerungen aus den Fehlern der Vergangenheit
ziehen. Das wird schmerzhaft sein. Aber es gehörte immer zu den
Stärken der USA, sich nach Krisen neu zu erfinden. Für diesen neuen
Traum brauchen die USA vor allem eines: Geschlossenheit. Einen neuen
Präsidenten brauchen sie dafür nicht. Autor: Christian Kucznierz
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