(ots) - Der Fall des syrischen Despoten Baschar al-Assad
scheint nur eine Frage der Zeit zu sein. Die syrischen Rebellen
kontrollieren wichtige Straßen und Grenzübergänge, manche Städte sind
beinahe komplett in ihrer Hand. Doch man sollte sich von den
verwackelten Kriegsbildern, die regelmäßig aus den Rebellenhochburgen
gesendet werden, nicht täuschen lassen. Assad ist militärisch nach
wie vor stark. Einigen Zehntausend Guerillakämpfern stehen 300.000
Soldaten der Armee gegenüber. Assads Diktatur ist verwundet, aber sie
wankt noch nicht. Das von den Rebellen gewonnene Terrain wird immer
wieder blutig vom Regime zurückerobert. So kann es noch lange
weitergehen. Dennoch wird man sich in Washington und Moskau, in
Ankara und in Teheran zurzeit nicht nur mit der aktuellen
militärischen Lage beschäftigen. Längst werden Szenarien entworfen,
wie es in Syrien nach einem Sturz, einem Rücktritt oder einer Flucht
Assads weitergehen könnte. Doch welche Rechnungen da auch immer
aufgemacht werden - sie beinhalten viele Unbekannte. Ein halbwegs
geordneter, ja friedlicher Ãœbergang zu einer syrischen Demokratie
scheint derzeit völlig unrealistisch. Sollte Assad von der Bildfläche
verschwinden, wäre der Konflikt nicht gelöst. 42 Jahre Despotie
lassen sich nicht mit einem einzigen Familienclan bewerkstelligen.
Wenn Assad stürzt, haben nicht nur seine Verwandten um Macht und
Einfluss zu fürchten. Teheran wird mit allen Mitteln zu verhindern
suchen, seinen wichtigsten Bündnispartner in der Region zu verlieren;
auch Moskau kämpft um bleibenden Einfluss in Damaskus - und nicht
zuletzt um direkten Zugang der russischen Kriegsflotte im Mittelmeer.
Auf der anderen Seite will sich der Westen nicht in eine militärische
Auseinandersetzung ziehen lassen, die am Ende eher an den
jugoslawischen Bürgerkrieg erinnern würde als an den "arabischen
Frühling". Die Interventionen auf dem Balkan, in Afghanistan, dem
Irak haben nicht nur die USA müde und mürbe gemacht. Es herrscht
Skepsis: Das militärische Ziel der syrischen Rebellen heißt Damaskus.
Worin aber die politischen Ziele der FSA bestehen, wie stark ihr
islamistischer Flügel ist; ob die säkularen syrischen Liberalen nicht
nur auf Pressekonferenzen im Ausland, sondern auch in den umkämpften
Gebieten etwas zu sagen haben, ist ungewiss. Ãœber das syrische
Schachbrett beugen sich viele Köpfe, aber welche Züge nun dran sind,
scheinen sie zum Teil selbst nicht zu wissen. Angesichts der
komplizierten Situation wird sogar in Washington schon unter der Hand
empfohlen, man solle das Gespräch mit Teheran suchen. Wie angesichts
der sich widersprechenden Interessen ein Kompromiss praktisch
aussehen könnte - dazu reicht die Fantasie bisher nicht. Was aber
kommt nach Assad? Bestenfalls handeln die Türkei und der Iran einen
Plan aus, in dem der Schutz der syrischen Zivilbevölkerung im
Mittelpunkt steht und der anschließend von Washington und Moskau
mitgetragen wird. Schlimmstenfalls zerfällt das Land in seine
ethnischen, religiösen und politischen Einzelteile, die nur noch vom
Chaos regiert werden. Der anwachsende Flüchtlingsstrom zeigt, dass
die Menschen dort eher mit dem Letzteren rechnen. Die syrische
Tragödie hat wohl erst begonnen.
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