(ots) - Fast auf den Tag ein Jahr nach dem Massenmord auf
der norwegischen Insel Utøya und in Oslo, dem 77 Menschen zum Opfer
fielen, hat eine ebenso kaltblütige Tat in Colorado die Welt
erschüttert. Barack Obama sagte, wenn aus dem Amoklauf in Aurora eine
Lehre zu ziehen sei, dann die, "dass das Leben sehr verletzlich und
unsere Zeit hier begrenzt und kostbar ist". Damit banalisierte der
Präsident die Tat. Das Kino-Massaker, bei dem zwölf Menschen starben,
lehrt auch, dass die Waffenkontrolle in den USA zu lasch ist. Wenn
ein 24-Jähriger legal vier Feuerwaffen erwerben kann, darunter ein
halbautomatisches Gewehr vom Typ AR-15, und zudem 6000 Ladungen
Munition, taugt das Recht nicht. Doch die Reform der entsprechenden
Gesetze ist schwierig. Und dies liegt nicht in erster Linie daran,
dass die NRA-Waffenlobbyisten 2,9 Millionen Dollar für den bisherigen
Präsidentschaftswahlkampf spendeten, während Verfechter strikterer
Kontrollen nur 240.000 Dollar zusammenbrachten. Viel entscheidender
ist, dass es gute Argumente für den berühmten zweiten
Verfassungszusatz aus dem Jahr 1791 gibt, der allen Bürger der USA
das Recht garantiert, "Waffen zu besitzen und zu tragen". Wer die
Verteidigung dieses Privilegs als nostalgische Reminiszenz an den
Wilden Westen abtut oder auf eine vermeintliche Paranoia der
Amerikaner zurückführt, kennt das Land nicht. Anders als das dicht
besiedelte Deutschland lebt nicht jeder nur wenige Minuten von der
nächsten Polizeistation entfernt. Wer je durch South Dakota oder
Texas, durch New Mexiko oder Wyoming, durch Iowa oder Arizona fuhr,
mag nachvollziehen, dass man seine Smith & Wesson im Haus haben
möchte, wenn es bis zum nächsten Nachbar viele Meilen sind und der
Sheriff Stunden für die Anreise bräuchte. Wo der Staat auch räumlich
fern ist, hat das Recht auf Selbstverteidigung einen anderen
Stellenwert als im Vollkasko-Europa - und selbst dort ließen sich
Utøya nicht verhindern oder die Amokläufe in Winnenden und Erfurt.
Dennoch bliebe in den USA genügend zu reformieren. Waffenbesitz im
Grundsatz zu erlauben, ist etwas anderes, als auf die Registrierung
verkaufter Waffen zu verzichten, wie es viele Bundesstaaten nach wie
vor tun. Die verantwortlichen Politiker und Abgeordneten zeigen sich
gänzlich unbeeindruckt davon, dass in den USA etwa achtmal mehr
Menschen an Schusswunden sterben als in anderen industrialisierten
Ländern. Halbautomatische Waffen wie die AR-15 sind zudem weder zur
Selbstverteidigung noch für die Jagd erforderlich. Der Kongress
bannte 1994 derartige Sturmgewehre, aber das Gesetz lief 2004 aus.
Obama macht keine Anstalten, es zu erneuern. Und Mitt Romney trat
zwar als Gouverneur von Massachusetts für striktere Waffengesetze
ein, doch für den Präsidentschaftskandidaten ist das kein Thema mehr.
Die gern bemühte Weisheit, nicht Waffen töten, sondern Menschen, ist
so banal wie unaufrichtig. Eben weil Menschen töten, muss man ihnen
den Zugang zu besonders gefährlichen Waffen nicht unnötig leicht
machen. Striktere Waffengesetzes werden nicht jedes Verbrechen
verhindern. Aber sie können die Zahl und Wucht derartiger Taten
reduzieren.
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