(ots) - Europa driftet immer weiter auseinander. Auch weil
- eher aus Ratlosigkeit denn aus Weisheit - die Empfehlungen zur
Rettung des Euro und der maladen Währungspartner zunehmend den Bezug
zur Realität verlieren. Das kostet gegenseitiges Vertrauen, ohne dass
das vereinte Europa nicht wird überleben können. Es rüttelt an den
Grundfesten der Demokratie, wenn Italiens Ministerpräsident Mario
Monti empfiehlt, zur Ãœberwindung der Euro-Krise sollten die
nationalen Regierungen weniger Rücksicht auf ihre Parlamente und
deren Rechte und Beschlüsse nehmen. Wer glaubt, die Schuldenkrise von
oben herab lösen zu können, der irrt gefährlich. Denn wer die
Abgeordneten nicht ernst nimmt, der pfeift letztlich auch auf die
Wähler, also auf uns Bürger. Wenig glaubwürdig und überzeugend wirkt
als selbst ernannter Heiler dieser Krise auch der, der heute hü und
morgen hott sagt. SPD-Chef Sigmar Gabriel ist so einer. Einst
Verfechter von Euro-Bonds und damit einer gemeinsam haftenden
Schuldenunion, ließ er sich erst vor ein paar Tagen eines Besseren
belehren. Da rückte er wieder nah an die Bundesregierung und
verkündete, man müsse nicht in einer gemeinsamen Regierung sitzen, um
in wichtigen Fragen gemeinsame Politik zu machen. Deshalb sei er
dafür, in Europafragen den größtmöglichen Konsens zu suchen. Das tue
Deutschland gut und Europa auch. Doch kaum gesagt, schon vergessen.
Sein aufgewärmtes Plädoyer für eine gemeinschaftliche
Euro-Schuldenhaftung steht nicht nur in krassem Widerspruch zur
Politik der Bundesregierung. Es ist auch fern jeder Realität. Den
überraschenden Strategiewechsel verbindet er nämlich mit weiteren
Forderungen. Sie gipfeln in einer Grundgesetzänderung mit dem Ziel,
Volksabstimmungen über Euro-Rettungsaktionen samt Schuldenübernahmen
in der Verfassung zu verankern. Gabriels Meinungswandel fußt auf der
Empfehlung von drei Professoren. Ehrenwerte Ãœberlegungen. Aber wer
wie die Europäer am Abgrund steht, muss schnell handeln. Eine
Grundgesetzänderung mit einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag? Woher
will Gabriel die nehmen? Gemeinsame Schuldenhaftung? Wenn selbst
führende Sozialdemokraten zweifeln, wie will Gabriel jemals die
Deutschen in einer Volksabstimmung für ein Ja zur Mithaftung aller
Euro-Schulden gewinnen? Zumal die beratenden Experten selbst das
Risiko sehen, mit der Gemeinschaftshaftung könnten Fehlanreize
(Verschleppung überfälliger Reformen) gesetzt werden. Freibriefe
schaffen kein Vertrauen. Wolkige Utopien auch nicht. Sie sind eher
geeignet, die Solidarität und das Vertrauen, das in den Anfängen
Europas von Politiker wie Adenauer und de Gaulle geschaffen wurde, zu
zerstören. Sie haben vorgemacht, wie Pragmatismus und Gespür für
gemeinsame Verantwortung Großes schaffen kann. Das Errungene darf
nicht im europäischen Schuldenturm versinken. Das aber kann nur
gelingen, wenn heute wie damals kein Partner überfordert wird.
Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd(at)axelspringer.de