(ots) - Der zögernde und zaudernde Politikstil Angela
Merkels ist häufig beklagt worden. In diesen Tagen jedoch, in denen
die Euro-Zone auf Entscheidungen mit ungeahnten Konsequenzen zuläuft,
hat Merkels Abwarten etwas Beruhigendes. Es sind schon zu viele
Experten unterwegs, die genau wissen, welche Auswirkungen der
Austritt eines Staates aus einer Währungsgemeinschaft hätte. Und zu
viele Politiker, die sich redselig anschließen. Nur wer
Entscheidungen nicht verantworten muss, erteilt Ratschläge leicht.
Merkel aber dürfte der Puls hochschnellen, wenn sie an die nächsten
Wochen denkt. Soll sie Griechenland in die Pleite gehen und aus der
Währungsunion fallen lassen? Oder wirft sie schlechtem Geld gutes
hinterher? Um den Preis der Glaubwürdigkeit, wenn Europa wieder
einmal ignoriert, dass festgeschriebene Regeln vom Hilfsempfänger
verletzt wurden. Und möglicherweise auch um den Preis ihrer
Koalition, was neue Schockwellen auslösen würde: das größte Euro-Land
ohne Regierung! Seit langer Zeit ist man im Kanzleramt zwischen zwei
Sichtweisen hin- und hergerissen. Die Anhänger der Ballasttheorie
stellen in Aussicht, dass sich die Euro-Zone stabilisieren wird,
nachdem mit Griechenland ein Unruheherd ausgeschieden ist, ein Land,
das notorisch jedes Ziel verfehlt und auch unter der neuen Regierung
von Ministerpräsident Antonis Samaras alles andere als politisch
verlässlich ist. Die Dominotheorie prophezeit das Gegenteil: Nach
Griechenland würden sich die Blicke der Finanzmärkte auf die nächsten
Staaten richten, Portugal, Spanien, dann vielleicht Italien. Nicht
weil böse Investoren am Werk sind, die den Euro sprengen wollen,
sondern schlicht, weil die Euro-Staaten auch bei einem Austritt
Griechenlands wieder wortbrüchig würden. Sie hatten einst
versprochen, kein Land fallen zu lassen. Wenn sie den Schwur nun für
die übrigen 16 Staaten wiederholen, wer soll es ihnen glauben? Die
Regierungen haben sich in eine Lage gebracht, in der sie nur noch
gegen selbst gesetzte Regeln und Versprechen verstoßen können. Es
bleibt nur noch die Wahl zwischen schlechten Alternativen. Die
Regierungschefs können einzig prüfen, wie der Schaden, der
finanzielle und der für die Glaubwürdigkeit, minimiert werden kann.
Entscheidend wird dabei sein, dass Merkel und Frankreichs Präsident
Hollande endlich eine Arbeitsgrundlage finden und eine gemeinsame
Strategie entwickeln. Die innenpolitischen Zwänge machen es beiden
schwierig. Merkel muss bei neuen Hilfen für Griechenland um die
Gefolgschaft ihrer Koalition fürchten. In die Agenda des
französischen Sozialisten passt es hingegen überhaupt nicht, Athen
die Solidarität aufzukündigen. Die Euro-Rettung wird auch davon
abhängen, ob Merkel und Hollande ein Ausgleich ihrer Interessen
gelingt. Merkel sei jeder Tag gegönnt, an dem sie verhandelt und
abwägt. Solange sie der Verlockung widersteht, die Entscheidung bis
zur Bundestagswahl zu verschleppen. Damit wäre weder Griechenland
noch der Euro-Zone gedient.
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