(ots) - Mit dem Sturm auf die deutsche Botschaft im
Sudan hat am Freitag die Welle der Gewalt, die in der vergangenen
Woche losbrach, eine neue Dimension erreicht. Erstens, weil nun auch
Deutschland und nicht mehr nur die USA Ziel der Ãœbergriffe wurde.
Zweitens, weil es diesmal nicht in einem Land geschah, das von dem
Umbrüchen des arabischen Frühlings betroffen war. Es ist eine
beunruhigende Entwicklung, auf die es besonnen zu reagieren gilt.
Denn der im Internet aufgetauchte Film "Die Unschuld der Muslime" mag
zwar Auslöser der Attacken, Proteste und Übergriffe sein. Er ist
nicht der Ursache. Die sitzt viel tiefer und besitzt gewaltige
Sprengkraft. Den kruden Film, der mit seiner Darstellung des
Propheten Mohammend die religiösen Gefühle der Muslime weltweit
verletzt, gibt es nicht erst seit dieser Woche. Er wurde schon vor
längerem produziert. Dass ein Trailer nun aber genau in der Woche
Verbreitung findet, in der sich der Jahrestag des 11. Septembers 2001
zum elften Mal jährt, dürfte kein Zufall sein. Ebenso wenig, dass der
Anschlag auf das US-Konsulat in der libyschen Stadt Bengasi sich an
diesem Tag ereignete. Mittlerweile steht zwar so gut wie fest, dass
das Attentat in Libyen, bei dem der US-Botschafter und drei weitere
US-Bürger getötet wurden, die Handschrift der Al-Kaida trägt und von
langer Hand geplant war. Er verwendete die fast zeitgleich
beginnenden Proteste gegen den Film in Ägypten aber als Deckmantel.
Und tags darauf begannen die Ausschreitungen im Jemen. Das Timing ist
auffällig. Alle drei Länder sind nach dem Sturz ihrer einstigen,
langjährigen Diktatoren alles andere als stabile Gebilde. Libyen hat
erst am vergangenen Mittwoch einen Regierungschef gewählt. Ägypten
ist gerade erst dabei, sich nach den ersten freien Wahlen nach dem
Sturz Mubaraks neu zu organisieren. Auch der Jemen sucht erst seinen
Weg in die Zukunft. In den Wirren der Aufstände und Neuanfänge kommen
viele politische und religiöse Strömungen an die Oberfläche, die von
den einstigen Regimen jahrelang unterdrückt waren. So muss es für die
USA verstörend sein, dass ausgerechnet in Libyen ein US-Diplomat
getötet wurde, also in dem Land, von dem dachte, es sei von einem der
führenden Antiamerikaner befreit worden. In Ägypten regieren die
Muslimbrüder. Sie wandern auf einem schmalen Grat zwischen der
Befriedigung der Interessen ihrer fundamental-islamischen Wähler und
dem Versuch, auch international als gemäßigt aufzutreten. Das Problem
ist, dass der Wunsch der Menschen nach Freiheit und nach
Gerechtigkeit, der die Revolutionen ausgelöst hat, in vielen Teilen
unerfüllt geblieben ist. Diese Lücke wussten nicht nur in Ägypten
fundamental-islamische Gruppen geschickt zu füllen. Sie mögen nur
einen Teil der jeweiligen Gesellschaft repräsentieren und zumeist
friedliche Ziele verfolgen. Aber der Islam hat zunehmend eine
identifizierende Funktion übernommen. Die vergangene Woche hat
gezeigt, dass über den Hebel der Religion schnell eine große Zahl von
Menschen mobilisiert und instrumentalisiert werden kann. Wer will,
könnte sagen, dass elf Jahre, nachdem die Al Kaida ihren Krieg gegen
die "Kreuzritter" begonnen hat, die Saat ihres Hasses flächendeckend
Früchte trägt. Beide Seiten, die islamischen Staaten ebenso wie die
USA und ihre Verbündeten, sind nun gefordert, die Scharfmacher in den
eigenen Reihen in Zaum zu halten. Der Flächenbrand in der islamischen
Welt ist bereits angefacht. Eine Explosion ist vielleicht nur noch
ein einen Funkenschlag weit entfernt.
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