Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht Dr. Elke Scheibeler gibt einen Überblick über die aktuelle Rechtsprechung zu Urlaubsansprüchen von langzeiterkrankten Arbeitnehmern.
(firmenpresse) - Bezüglich des Urlaubsanspruches gilt die Regel, dass dieser im laufenden Kalenderjahr genommen werden soll, da er der Erholung dient, die dem Arbeitnehmer regelmäßig zukommen muss, um seine Arbeitskraft zu erhalten. Eine Übertragung in das nächste Jahr ist ? abweichende Vereinbarungen im Arbeits- oder Tarifvertrag oder aus betrieblicher Übung einmal unbeachtet gelassen - nur möglich, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen, § 7 Abs. 3 S. 2 BUrlG. Aber auch dann endet der Übertragungszeitraum am 31. März des Folgejahres.
Für Arbeitnehmer, die längere Zeit arbeitsunfähig erkrankt waren, bedeutete dies seit Anfang der 1980er Jahre, dass der Urlaub des Vorjahres mit Ablauf des 31.03. des Folgejahres verfiel. Auch nach ihrer Genesung oder Eintritt in den Rentenstand konnten sie den Urlaub nicht mehr nehmen oder seine Abgeltung verlangen. Dies wurde geändert durch die aufsehenerregende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 20.01.2009, AZ C-350/06 (Schultz-Hoff gegen Deutsche Rentenversicherung). Der Europäische Gerichtshof führte dort aus, dass es zwar zulässig sei, einen Übertragungszeitraum festzusetzen, nach dessen Ablauf der Urlaub verfallen sei. Dies dürfe aber nicht für Arbeitnehmer gelten, die in dem Urlaubsjahr und auch dem Übertragungszeitraum arbeitsunfähig waren, so dass sie bereits wegen der Erkrankung nicht zu arbeiten brauchten und deswegen den Jahresurlaub nicht nehmen konnten. Der gesetzliche Mindesturlaub von vier Wochen gemäß der Art. 7 der EG-Richtlinie 88/2003 durfte nach Ansicht des EuGH nicht untergehen. Dies sei nur bezüglich des darüber hinausgehenden vertraglichen oder tariflichen Urlaubs möglich.
Eingeschränkt hat der EuGH diese Ansicht dann in der sog. KHS-Entscheidung vom 22.11.2011, C-214/10. Dort akzeptierte er die Regelung in § 11 des Einheitlichen Manteltarifvertrags für die Metall- und Elektroindustrie in NRW, wonach im Falle der Erkrankung der Urlaub innerhalb eines 15-monatigen Übertragungszeitraums verfällt. Urlaub aus dem Jahr 2010 z.B. verfällt nach dieser Regelung auch bei dauerhafter Erkrankung am 31.03.2012. Der EuGH argumentierte, dass der Arbeitnehmer nicht mehr in den positiven Genuss der urlaubsbedingten Erholung und Kräftigung komme, wenn er nicht in der Lage sei, diesen einigermaßen zeitnah zum Urlaubsjahr zu nehmen. Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 07.08.2012, 9 AZR 353/10, inzwischen ausgeführt, dass in unionsrechtskonformer Auslegung des deutschen Rechts ein Verfall generell erst nach 15 Monaten nach Ende des Urlaubsjahrs eintreten könne. Ob diese Auffassung Bestand haben wird, bleibt abzuwarten. Das Arbeitsgericht Niendorf hat in seiner Entscheidung vom 15.06.2012, 2 Ca 472/11, eine Vorabentscheidungsfrage zur generellen 15monatigen Verfallfrist dem EuGH vorgelegt. Sie ist beim EuGH unter dem Aktenzeichen C 311/12 anhängig.
Für Arbeitnehmer, die mehrere Jahre krank sind, bedeutet dies: Bei ihrem Arbeitsantritt können sie jedenfalls für das letzte Jahr der Krankheit den Mindesturlaub von vier Wochen geltend machen. Nur ein darüber hinaus gehender Urlaubsanspruch ist möglicherweise verfallen. Arbeitnehmer, die nach mehrjähriger Krankheit in Rente gehen, können sich den Mindesturlaub dann abgelten, also den Gegenwert in Geld auszahlen lassen.
Wann ein weitergehender tariflicher oder vertraglicher Urlaubsanspruch verfällt, hat das Bundesarbeitsgericht u.a. in seinen Entscheidungen vom 12.04.2011, 9 AZR 80/10, und vom 22.05.2012, 9 AZR 618/10, inzwischen ausgeführt. Die diesbezüglichen arbeits- oder tarifvertraglichen Verfallsregelungen müssen erkennen lassen, dass der über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehende Urlaub einem eigenen Regime unterstellt werden soll. Es muss daher entweder ausdrücklich zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub und dem darüber hinausgehenden tariflichen oder arbeitsvertraglichen Mehrurlaub unterschieden oder aber insgesamt andere Verfallsfristen als in § 7 Abs. 3 BurlG verwendet werden. Dies war in der Entscheidung vom 12.04.2011, in dem es um den Manteltarifvertrag für das Bodenpersonal der Deutschen Lufthansa ging, nicht der Fall. Auch nach der Regelung in diesem Tarifvertrag war der Urlaub grundsätzlich im Urlaubsjahr zu nehmen, konnte in Ausnahmefällen übertragen werden und verfiel, wenn er bis zum 31.03.2012 des Folgejahres nicht genommen worden ist. Dies führte dazu, dass der langzeiterkrankte Arbeitnehmer die Abgeltung des gesamten Urlaubs verlangen konnte.
Zu einem anderen Ergebnis kam das BAG in der Entscheidung vom 22.05.2012, in des um die Regelung in § 26 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder, TV-L, ging. Nach dieser Regelung verfällt der Alturlaubs nämlich abweichend von der gesetzlichen Regelung erst dann, wenn er bis zum 31. März des Folgejahres nicht angetreten wird. Er muss also nicht bereits bis Ende März genommen sein. Zudem ist noch ein zweiter Übertragungszeitraum bis zum 31.05. vorgesehen für den Fall, dass der Urlaub aus betrieblichen oder in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen bis zum 31.03 nicht genommen werden kann. In diesem Fall nahm das Bundesarbeitsgericht folglich an, dass der tarifliche Mehrurlaub verfallen war, soweit er aufgrund der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers bis zum 31. Mai des Folgejahres nicht genommen werden konnte.
Selbst die nicht verfallenen Ansprüche bestehen aber nicht unbegrenzt lange fort. Dies hat das Bundesarbeitsgericht in vier Entscheidungen vom 09.08.2011 bestätigt. In der Sache 9 AZR 425/10 war der Arbeitnehmer vom 11. Januar 2005 bis zum 06. Juni 2008 durchgehend erkrankt. Er machte aus den Jahren 2005 bis 2007 stammenden Urlaub von 90 Tagen geltend. Dieser stand ihm zwar nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts unter Berücksichtigung der Ausführungen des EuGH im Schultz-Hoff-Urteil grundsätzlich zu. Allerdings hätte für die Übertragung des Urlaubs in das Jahr 2009 ein Übertragungsgrund im Sinne des § 7 Abs. 3 S. 2 BurlG vorliegen müssen, also dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe. Da dies nicht der Fall war, ist der übertragende Urlaub zum Ende des Jahres 2008 erloschen.
In dem Urteil 9 AZR 352/10 ging es ebenfalls um eine langjährig erkrankte Arbeitnehmerin, die nach Erkrankung im Jahr 2006 wegen Erhalt einer unbefristeten Erwerbsminderungsrente zum 31.03.2008 aus dem Arbeitsverhältnis ausschied. Im Februar 2009 verlangte diese sodann Urlaubsabgeltung gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG aus den Jahren 2007 bis 2009. Die Arbeitgeberin berief sich auf eine Ausschlussfrist, wonach Ansprüche innerhalb von sechs Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden müssen. Das Bundesarbeitsgericht stimmte zu. Die Arbeitnehmerin hätte sich also bis zum 30.09.2008 bei der Arbeitgeberin melden müssen. Ähnlich gelagert waren gemäß der Pressemitteilung auch die Fälle 9 AZR 365/10 und 475/10.
Wer also nach längerer Krankheit wieder arbeiten kann oder aber in Rente geht, sollte sich anwaltlich beraten lassen. Ihm steht mindestens für das letzte Jahr der Krankheit ein Kalenderurlaub von vier Wochen zu, ggf. sogar ein darüber hinausgehender vertraglicher oder tariflicher Urlaub. Im Falle der Genesung muss dieser aber im ersten Jahr genommen oder eine Übertragung ins Folgejahr wirksam vorgenommen werden. Im Falle des Renteneintritts sind etwaige Ausschlussfristen zu beachten.
Arbeitgeber, die sich mit entsprechenden Forderungen ihrer Arbeitnehmer konfrontiert sehen, sollten sich anwaltlich beraten lassen, ob die Arbeitnehmer diese weiteren Spielregeln eingehalten haben.
Ich bin Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht und seit 2003 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Nachdem ich einige Jahre als angestellte Anwältin gearbeitet habe, gründete ich 2009 meine eigene Kanzlei. Ich befasse mich mit dem Zivil- und Wirtschaftsrecht insbesondere dem Arbeits-, Miet- und Insolvenzrecht und vertrete hierbei sowohl Unternehmen als auch Privatpersonen.
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