(ots) - Die Chemie als drittgrößter Industriezweig
in Deutschland kann einer guten Zukunft entgegen sehen: Ihre Produkte
und Leistungen spielen für eine nachhaltige Entwicklung und alle
globalen Megatrends, hinter denen das Wachstum der Weltbevölkerung
als treibende Kraft wirkt, eine zentrale Rolle. Eine Steigerung der
Chemieproduktion am Standort Deutschland um 40 Prozent bis 2030
scheint so möglich. Zu diesem Ergebnis kommt das
Wirtschaftsforschungsinstitut Prognos, das im Auftrag des Verbandes
der Chemischen Industrie (VCI) in einer umfassenden Studie
Entwicklungspfade der Branche analysiert und sich dabei auf das
spezifische Wissen von Experten aus Mitgliedsunternehmen und
Fachverbänden des VCI sowie aus Kundenindustrien der Chemie gestützt
hat.
"Wenn die Politik in Berlin die richtigen Entscheidungen fällt,
wird die deutsche Chemie in den kommenden Jahrzehnten weiter wachsen,
wirtschaftlich erfolgreich sein und in vielfältiger Hinsicht dazu
beitragen, Lebensqualität und Wohlstand unserer Gesellschaft zu
mehren", sagte der scheidende VCI-Präsident Dr. Klaus Engel bei der
Vorstellung der Studie in Essen. Der Produktionsverbund innerhalb der
Branche und der starke industrielle Kern der deutschen
Volkswirtschaft mit seinen vernetzten Wertschöpfungsketten, in denen
die Chemie überall eine wichtige Rolle spielt, seien dabei Garant für
ein solides Wachstum.
Der Studie zufolge kann die Branche von der steigenden weltweiten
Nachfrage nach Chemikalien - besonders aus Asien und Lateinamerika -
auch in Zukunft profitieren. Die Verschiebung der wirtschaftlichen
Wachstumszentren weg von Europa hin nach Asien mit China als
Gravitationszentrum führt aber auch zu stärkerem Wettbewerbsdruck für
die Chemie am Standort Deutschland. Darauf wird die Branche, so die
Studie, mit einer mehrschichtigen Anpassungsstrategie reagieren, um
wettbewerbsfähig zu bleiben:
Reaktion auf intensiveren globalen Wettbewerb: 4-teilige Strategie
1. Innovationsanstrengungen erhöhen: Bis 2030 wird die Branche ihr
jährliches Forschungsbudget um weitere 9 Milliarden auf dann fast 18
Milliarden Euro aufstocken. Das entspricht einem Zuwachs pro Jahr von
4 Prozent. "Die chemisch-pharmazeutische Industrie zählt schon heute
zu den besonders innovationsstarken Zweigen der deutschen Wirtschaft.
"Der globale Wettbewerb um neue Produkte erfordert aber ein noch
höheres Innovationstempo", erklärte der VCI-Präsident.
2. Auf Spezialchemikalien fokussieren: Forschungsintensive und
höherwertige Spezialchemikalien für Farben, Pflanzenschutzmittel,
Spezialkunststoffe und Konsumprodukte werden weitere
Produktionsanteile hinzugewinnen. Schon heute nimmt dieses Segment
mit 43 Prozent den größten Anteil in den verschiedenen Sparten der
deutschen Chemie ein. Ihr Wissensvorsprung auf diesem Gebiet macht
auch in Zukunft den Unterschied im Wettbewerb gegenüber anderen
Chemienationen aus.
3. Noch effizienter produzieren: Seit 1990 ist der Energieeinsatz
in der deutschen Chemie um ein Fünftel gesunken, obwohl die
Produktion um fast 60 Prozent gestiegen ist. Globaler Wettbewerb und
steigende Energie- und Rohstoffkosten sorgen jedoch dafür, so die
Berechnungen von Prognos, dass die Unternehmen die Messlatte für
Ressourceneffizienz noch höher hängen: Obwohl die Produktion bis 2030
um 40 Prozent zulegt, soll der absolute Rohstoffverbrauch nur um 15
Prozent, der Energieverbrauch sogar nur um 8 Prozent ansteigen. Eine
vollständige Entkopplung von Wachstum und Primärenergieeinsatz sei
aber nicht länger machbar, stellte Engel klar: "Das Ziel der EU, den
Energieverbrauch absolut zu begrenzen, ist in der chemischen
Industrie nicht mit künftigem Wachstum vereinbar." Deshalb müsse in
Brüssel bei der Diskussion über die Ziele zur Energieeffizienz der
Wirtschaft wieder Realismus statt Wunschdenken die Oberhand gewinnen.
4. Rohstoffbasis optimieren: Bis 2030 werden die Chemieunternehmen
in Deutschland 50 Prozent mehr nachwachsende Rohstoffe als heute für
ihre Verfahren verwenden. Der qualitative Wandel der Rohstoffbasis,
der die Abhängigkeit der Branche von endlichen fossilen Ressourcen
verringert, hält an. Heute setzt die Branche pro Jahr rund 2,7
Millionen Tonnen pflanzliche Rohstoffe überwiegend für die
Herstellung von Produkten aus der Spezialchemie ein.
Es kann auch anders kommen: Die Politik macht den Unterschied
Ein in verschiedener Hinsicht unwägbarer Faktor sind die
politischen Rahmenbedingungen. Sie können die Situation verändern -
im Positiven wie im Negativen. Das zeigt die Studie in zwei
alternativen Entwicklungspfaden: Im Szenario "zerrissene
Wertschöpfungsketten" wird eine restriktive Industriepolitik zu
Grunde gelegt, die vor allem in Bezug auf die Energieversorgung zu
massiven wirtschaftlichen Einschnitten für die gesamte Industrie
führen würde. Für dieses Szenario der Deindustrialisierung in
Deutschland hat Prognos einen volkswirtschaftlichen Gesamtschaden von
440 Milliarden Euro errechnet. "Wenn die drei Eckpfeiler der
Energiepolitik 'sicher, sauber und bezahlbar' nicht mehr
gewährleistet sind, entstehen tiefe Risse in unserem
Wirtschaftssystem. Reißen die etablierten Wertschöpfungsketten in
Deutschland, würde der industrielle Kern schwer geschädigt. Die
mangelnde Versorgung der Kundenbranchen mit energieintensiven
Vorleistungen aus der Chemie würde letztlich zu einer Abwanderung
wichtiger Industriezweige führen", erklärte Engel.
Dagegen zeigt das Szenario "innovationsfreundliches Umfeld", dass
die Politik mit den richtigen Maßnahmen zusätzliche Wachstumskräfte
mobilisieren und so einen beträchtlichen positiven Schub für die
deutsche Volkswirtschaft bis 2030 auslösen könnte: Er lässt sich nach
den Berechnungen von Prognos auf rund 190 Milliarden Euro beziffern.
Aus Sicht der Branche lassen sich aus der Studie folgende Punkte
für die Politik ableiten: Es muss der demografisch bedingten
Verknappung von Arbeitskräften entgegengewirkt und das Bildungssystem
verbessert werden. Darüber hinaus gilt es, die
Einwanderungsmöglichkeiten für Fachkräfte zu verbessern. Durch
staatliche Forschungsförderung, eine bessere Qualifizierung der
Arbeitnehmer und eine höhere Technologieakzeptanz in der Gesellschaft
lässt sich das Innovationspotenzial Deutschlands verbessern.
Politisch festgelegte Forschungsfelder sowie die Förderung einzelner
Industriezweige zulasten anderer dämpften hingegen das
Wachstumspotenzial. Sinnvoller sei es, das Industrieland Deutschland
insgesamt zu stärken. Die Energiewende müsse kosteneffizient
vorangetrieben werden. Solange es in Deutschland keine international
wettbewerbsfähigen Energiepreise gebe, müssten die
Entlastungsregelungen für die energieintensive Produktion erhalten
bleiben, so der VCI.
Der VCI vertritt die wirtschaftspolitischen Interessen von rund
1.650 deutschen Chemieunternehmen und deutschen Tochterunternehmen
ausländischer Konzerne gegenüber Politik, Behörden, anderen Bereichen
der Wirtschaft, der Wissenschaft und den Medien. Der VCI steht für
mehr als 90 Prozent der deutschen Chemie. Die Branche setzte 2011
über 184 Milliarden Euro um und beschäftigte mehr als 428.000
Mitarbeiter.
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