(ots) - Ausdauersportler nennen es "zweite Luft", wenn
der tote Punkt überwunden ist und plötzlich wieder Energie zur
Verfügung steht, mit der man es vielleicht sogar schafft, seinen
Gegner abzuhängen. Fast möchte man meinen, Barack Obama hat genau von
diesem Phänomen profitiert. Härter, cleverer, souveräner war sein
zweiter Auftritt in direkter Konfrontation mit seinem Herausforderer
Mitt Romney. Vielleicht hat der Präsident aus seiner schlechten
Performance gelernt. Vielleicht hat er seinen Gegner in der ersten
Runde auch erst einmal kommen lassen. Fest steht, dass Obama nach
dieser Nacht in Hempstead, New York, wieder die Nase vorne haben
dürfte. Die Abgesänge diesmal auf Obama waren fast genauso verfrüht
geschrieben worden, wie zuvor die auf Romney. Allerdings war nicht
von der Hand zu weisen, dass der Amtsinhaber im letzten Duell eine
wirklich schlechte Vorstellungen geliefert hatte. Kaum Attacken, viel
Defensive - es wurde viel spekuliert, woran es gelegen haben könnte.
Obama selbst hatte eingeräumt, er habe einen schlechten Tag gehabt.
Sein Team hatte beteuert, man habe Romney vielleicht unterschätzt.
Oder aber, im Lager der Demokraten wollte man den Herausforderer
einfach einmal austesten. Ein riskantes Spiel? Sicher. Denn die
Umfragen sagten schon vor dem ersten Duell, dass es am Ende
vielleicht knapper werden könnte, als es dem Amtsinhaber lieb sein
könnte. Eines aber war klar nach dem ersten Schlagabtausch: Für Obama
konnte es nur besser werden. Für Romney vor allem: schlechter. Das
heißt nicht, dass der Druck auf den Präsidenten nicht enorm hoch
gewesen sein muss. Schließlich hätte ihm ein weiterer schlechter
Auftritt wirklich den Vorsprung kosten können, und das noch dazu drei
Wochen vor der Wahl. Viele Wähler - Obamas Frau Michelle unter ihnen
- haben ihr Kreuzchen schon gemacht. Ein misslungener Auftritt mehr -
wer weiß, was das am Ende bedeutet hätte. Es heißt zwar, dass in der
Geschichte der Fernsehdebatten nur ein oder zwei TV-Duelle echten
Einfluss auf den Ausgang der US-Wahlen gehabt haben. Aber es sah
schon fast danach aus, als könnte diese Liste um eines erweitert
werden. Obamas Strategie war schließlich nicht sehr belastbar. Die
gesamte Kampagne war darauf ausgelegt, Romney als gnadenlosen
Steuersenker und Deregulierer darzustellen - und plötzlich zeigte
sich der Multimillionär als einer, der den Kurs seiner Kampagne in
den Vorwahlen verlässt und plötzlich die Mitte umgarnt. "Moderate
Mitt" war der Spitzname, den dieser neue Romney von den Analysten
bekam. Er hätte dem Präsidenten gefährlich werden können. Was, wenn
er in der Debatte gesagt hätte: "Meine Pläne sind nicht ganz korrekt.
Wir müssen auch bei den Topverdienern zumindest moderat die Steuern
erhöhen"? Sicher, er hätte einen Teil seiner Klientel und seiner
Geldgeber vor den Kopf gestoßen. Nur: Drei Wochen vor der Wahl hätten
die keinen neuen Kandidaten aus dem Hut zaubern können. Dafür aber
hätte Obama auf die - fiktive - Antwort nichts sagen können. Es wäre
ein echtes Problem gewesen. Aber so weit kam es nicht. Romney ließ
sich als das entlarven, was er ist: einer, der unbekümmert das
Hohelied des Neoliberalismus singt, weil er dessen Profiteur ist,
ebenso wie diejenigen, die ihn und seinen Wahlkampf millionenschwer
unterstützen. Romney mag sich vielleicht neu erfunden haben - aber
Obama hat gezeigt, dass auch er diesen Trick beherrscht. Es wird nun
von der dritten und letzten Debatte am kommenden Dienstag abhängen,
wer am Ende als Sieger der Duelle dasteht. Ob der dann aber auch der
Sieger im Rennen um das Weiße Haus sein wird, muss sich erst zeigen.
Beide, Obama und Romney, werden bis dahin lange Monate des harten
Trainings hinter sich und Erfahrungen mit der zweiten Luft gesammelt
haben. Fragt sich nur, wer sie besser einzusetzen weiß - und wem die
Wähler am Ende das kleine bisschen mehr Vertrauen schenken. Denn dass
es unglaublich knapp wird, ist gestern einmal mehr klargeworden.
Autor: Christian Kucznierz
Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten(at)mittelbayerische.de