(ots) - Wer sich mit antiker Kunst beschäftigt, stößt
irgendwann einmal auf Mäander-Ornamente. Folgt man den Linien in
diesem dem Fluss Mäander nachempfundenen Muster, stellt man fest,
dass sie viele Bögen machen, aber wenig Fortschritt. Womit sie ein
perfektes Symbol für die Versuche abgeben, Griechenland vor dem
finanziellen Ruin zu retten. Egal, wie viele Gipfel,
Last-Minute-Einigungen und Krisentreffen es noch geben wird: Der
Untergang Athens wird bislang höchstens verzögert. Dabei stehen die
Retter vor einem Grundproblem: Diesen Untergang darf es laut
Definition nicht geben. Spätestens seit dem Sommer ist das Festhalten
an der Domino-Theorie einheitliche Doktrin der Eurozone und auch der
Bundesregierung. Diese Lehre besagt, dass das Ausscheiden eines
Landes aus der Währungszone eine Kettenreaktion zur Folge haben wird,
deren Ausgang weder abseh-, noch kontrollierbar sein wird. Am Ende
könnte das gesamte Projekt "Vereintes Europa" in Scherben liegen.
Vieles spricht in der Tat für diese Theorie, aber wie immer gilt auch
hier: Schlauer ist man erst, wenn sie Realität geworden ist. Weil es
aber der Wille der europäischen Gemeinschaft ist, dass der schlimmste
Fall nicht eintreten darf, verfuhren Brüssel, Berlin und Paris wie
bei der Polio-Impfung bei Kindern: Es gibt ein bitteres Medikament
auf einem Stück Zucker. Das Medikament ist dabei der Zwang zu sparen,
der Zucker ist mehr Zeit. Erst gestern ist diese Methode noch einmal
angewandt worden: Das Land hat den erforderlichen Sparhaushalt
durchgesetzt, dafür hat Athen zwei Jahre mehr Zeit bekommen, seine
Schulden zu reduzieren und die Defizitregeln wieder einzuhalten.
Problematisch ist allerdings, dass der Zucker nicht mehr süß genug
und die Medizin zu bitter geworden ist. Bis Ende 2014 soll das Land
13,5 Milliarden Euro einsparen, danach weitere 3,4 Milliarden. Fast
fünf Milliarden Euro werden alleine bei den Renten gestrichen werden,
im Gesundheitsbereich 1,5 Milliarden. Deutschland kann sich zur
gleichen Zeit den Luxus leisten, seine Neuverschuldung auf 17,1
Milliarden Euro zu drücken. Noch dazu werden die Bundesbürger von
Abgaben wie der Praxisgebühr befreit und mit politischen Geschenken
wie dem Betreuungsgeld bedacht. Dass wir in den Krisenländern
unbeliebt, ja verhasst sind, darf niemanden überraschen, der sich
vorzustellen versucht, was geschähe, wenn hierzulande ein
griechischer Sparkurs umgesetzt würde. Das Problem beim Kampf gegen
die Schuldenkrise in Europa ist, dass er nie Selbstzweck, sondern
zwangsläufig immer auch Innenpolitik der Geberländer ist. Merkel etwa
versucht, die Tugenden der schwäbischen Hausfrau in den Krisenstaaten
zu propagieren. Das soll ihr zu Hause helfen, ihr Bonuskärtchen
vollzubekommen, das sie in nicht einmal mehr einem Jahr bei der Wahl
einlösen möchte. Das Problem ist aber, dass Schwaben nicht in
Spanien, Portugal oder Griechenland liegt. Die Aussicht auf
anstrengungslosen Wohlstand war zu lange zu verlockend - und die EU
hat die Augen vor den Folgen solchen Denkens und vor handfester
Misswirtschaft lange fest verschlossen. Heute an die Sparvernunft zu
appellieren, klingt pädagogisch wertvoll. Es nützt nur nichts, wenn
ein Land sich zur Bedienung seiner alten Kredite immer neues Geld auf
Pump besorgen muss. Wer auf einem mäandernden Fluss Schifffahrt
betreiben will, wird ihn eines Tages begradigen müssen. Für
Griechenland heißt das: Es wird Zeit, die Wahrheit zu sagen. An einem
erneuten, massiven Schuldenschnitt wird kein Weg vorbei führen.
Solche Wahrheiten hebt man sich in Berlin aber offensichtlich für die
Zeit nach der Wahl auf.
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