(ots) - Von Angela Merkel ist bekannt, dass sie für
Gefühlsduselei nicht zu haben ist. Die Bundeskanzlerin gilt als kühl
kalkulierende Pragmatikerin der Macht. Zu einer klugen Analyse gehört
es aber auch, den Faktor Emotion einzubeziehen. Auf die
deutsch-polnischen Beziehungen trifft das nicht nur wegen der noch
immer wirkungsmächtigen historischen Lasten zu, die das Verhältnis
dauerhaft beschweren. Vielmehr spielen Gefühle jenseits der Oder im
öffentlichen Diskurs eine wichtigere Rolle als in Deutschland.
Derzeit empfinden die Polen in ihrer großen Mehrheit so viel
Sympathie für ihre Nachbarn im Westen wie nie zuvor. Bewunderung für
das erfolgreiche Wirtschaftsmodell schwingt dabei mit. Dankbarkeit
ist zu spüren für die deutsche Unterstützung, die Polen bei seinem
EU-Beitritt erfahren hat. Und es gibt die Hoffnung, die beiden
Partner im Herzen Europas könnten gemeinsam zu einem neuen Motor der
kontinentalen Völkergemeinschaft werden. Dieser kollektive
Seelenzustand ist kein harter politischer Machtfaktor. Aber er bildet
das Fundament, auf dem polnische Politiker handeln. Eine aktuelle
Studie des Warschauer Instituts für Öffentliche Angelegenheiten
zeigt, dass Deutschland in Polen auf einen treuen Bündnispartner
zählen kann, wenn die Augenhöhe in dem Verhältnis stimmt. Ob Angela
Merkel dies in ihrer Analyse bislang ausreichend gewürdigt hat, ist
zweifelhaft. Immer wieder hat sie zwar warme Worte für ihren Freund,
den polnischen Premier Donald Tusk, und für die Polen insgesamt
gefunden. Aber wenn es zum Schwur kam wie in der Euro-Krise, ließ die
Kanzlerin die Nachbarn im Osten ein ums andere Mal links liegen und
bemühte stattdessen bis zum Exzess die deutsch-französische
Freundschaft. In Polen weckt das zusehends Misstrauen. Wenn es
schlecht läuft, wird der notorische Deutschenverächter Jaroslaw
Kaczynski bald wieder mit seinen Warnungen durchdringen, Polen drohe
eine feindliche Ãœbernahme durch die Bundesrepublik. Zur Nagelprobe
könnten schon die Verhandlungen über den EU-Haushalt in der kommenden
Woche werden. Tusk führt die Phalanx der strukturschwachen
Nehmerländer in Europa an. Merkel als Kanzlerin des größten
Geberlandes findet sich in einem Lager mit dem britischen Premier
David Cameron wieder, der ultimativ drastische Einsparungen im
Brüsseler Budget verlangt. Merkel hat zuletzt immer wieder betont,
dass die EU Großbritannien als Vollmitglied brauche. Das klang
danach, als werde die Kanzlerin alles tun, um den "eisernen David" zu
beschwichtigen - ein Appeasement der anderen Art. Für die Polen wäre
das ein Affront. Umgekehrt hat Merkel die Chance, sich in Warschau
geradezu unsterblich zu machen. Wenn sie die Etatverhandlungen zu
einem Ergebnis führt, das dem Boomland Polen eine dauerhaft hohe
EU-Förderung sichert und damit die Fortsetzung des Wirtschaftswunders
ermöglicht, wird sie vermutlich zu Angela der Großen gekrönt.
Nebenbei bemerkt: Profitieren würden von einem solchen "polnischen"
Budget vor allem deutsche Exportunternehmen. Derzeit spricht viel
dafür, dass sich die EU-Staaten beim Haushaltsgipfel auf den
kleinsten Nenner einigen: Vertagung und Wiedervorlage im neuen Jahr.
Dann jedoch wird es eine Entscheidung geben müssen. Deutschland wird
wählen müssen, ob es an der Seite der Briten Europa bremsen möchte
oder die EU gemeinsam mit den Polen vorantreiben will. Nach den
jahrzehntelangen Erfahrungen mit dem ewigen "No" aus London sollte
die Wahl leicht fallen - nicht nur aus emotionalen Gründen.
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