(ots) - Sie haben etwas von enttäuschter Liebe, zumindest
von Erwartung, die trog, die deutsch-russischen Beziehungen. Nach dem
Ende des Kalten Krieges, nach Maueröffnung, Zustimmung zur
Wiedervereinigung und Abzug ihrer Soldaten hofften die Russen, dass
ihnen im Gegenzug die Tore gen Westen weit aufgestoßen würden. Quasi
als Dank für das historisch einmalige Ereignis, dass eine Siegermacht
freiwillig das Feld räumt. Wir Deutschen andererseits verbanden mit
Gorbatschows Glasnost- und Perestroika-Politik und anschließend mit
Boris Jelzins Abschaffung der Staatswirtschaft die Perspektive,
Russland würde sich zu einer offenen demokratischen Gesellschaft hin
entwickeln. Gut 20 Jahre später hat sich beides als Träumerei
entpuppt. Und die Verantwortung dafür tragen beide Seiten. Die
Abkühlung zwischen Berlin und Moskau ist besonders spürbar, seit
Wladimir Putin das Zepter schwingt. Aus Enttäuschung über angeblich
mangelnden Respekt seitens der Europäer und einer Partnerschaft, in
der die Russen nicht so dominieren können, wie sie es gern täten,
versucht der Kreml-Chef, sein Land zu alter Macht zurückzuführen.
Auch, indem er die zarten Anfänge demokratischer Entwicklungen samt
dem Entstehen einer Zivilgesellschaft brutal zu ersticken versucht.
Auf deutscher Seite befeuert das die Kritik am System Putin. Bis hin
zu der vom Bundestag beschlossenen Resolution, die die demokratischen
Missstände in Russland anprangert - unmittelbar vor dem Moskau-Besuch
der Bundeskanzlerin samt großer Regierungsdelegation. Es war also ein
höchst kompliziertes Umfeld, in dem sich Wladimir Putin und Angela
Merkel gestern im Kreml trafen. Zumal auch ihr persönliches
Verhältnis ein eher gestörtes ist. Statt Süßholz zu raspeln, ist es
in einer solch verdrückten Lage ratsamer, Klartext zu reden. Das hat
die Kanzlerin offenkundig getan. Sie hat die Repression gegen
Oppositionelle wie die Sängerinnen der Punkgruppe Pussy Riot ebenso
kritisiert wie die verschärften Hochverratsgesetze und das Gesetz zur
Registrierung von Nichtregierungsorganisationen als "ausländische
Agenten". Putin zeigte sich davon erwartungsgemäß zwar wenig
beeindruckt. Aber entscheidend ist: Die Kanzlerin hat deutlich
gemacht, dass es neben verlässlich guten Wirtschaftsbeziehungen auch
noch gesellschaftspolitische Werte gibt, deren Einhaltung den Grad
der Gesamtbeziehungen zwischen beiden Ländern bestimmen. Es ist genau
diese Erkenntnis, die den Petersburger Dialog als russisches
Diskussionsforum zur Stärkung der Zivilgesellschaften so wichtig
macht. Er bleibt der Ort, an dem offen und ungefährdet über
Missstände in den Entwicklungen hin zu mehr Demokratie diskutiert
werden darf. Dass auch Putin zusammen mit der Kanzlerin das Forum mit
seiner Präsenz beehrte, signalisiert zumindest, dass er diesen einen
Ort der freien Aussprache respektiert.
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