(ots) - Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen
Kirche in Deutschland (EKD), Präses Nikolaus Schneider, hat heute ein
"Geistliches Wort zur Organspende" veröffentlicht. Anlass ist das
neue Transplantationsgesetz, das seit diesem Monat in Kraft ist.
Bestandteil des Gesetzes ist unter anderem die Verpflichtung aller
Krankenkassen an ihre Mitglieder einen Brief zu schreiben, um sie zu
ihrer Bereitschaft zur Organspende zu befragen. Einige Krankenkassen
haben bereits die entsprechenden Schreiben versandt; die meisten
Krankenkassen werden die persönlichen Anschreiben an ihre Mitglieder
im Laufe des Jahres 2013 versenden.
Das "Geistliche Wort" des Ratsvorsitzenden hat folgenden Wortlaut:
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Schwestern und Brüder,
voraussichtlich werden Sie in den nächsten Monaten ein Schreiben
Ihrer Krankenkasse zum Thema Organ- und Gewebespende erhalten. Dies
geht auf eine gesetzliche Neuregelung zurück, nach der jede
versicherte Person ab 16 Jahren über die Organspende informiert und
dazu aufgefordert wird, sich für oder gegen eine Organspende zu
entscheiden. Dahinter steht die Tatsache, dass in Deutschland viel
mehr Spenderorgane gebraucht als gespendet werden.
Es ist sehr verständlich, wenn Sie dieses sehr persönliche Thema
an der Grenze zwischen Leben und Tod verunsichert und Sie sich zum
Beispiel fragen: Ist die Definition des Hirntodes tragfähig? Fühlt
ein hirntoter Mensch noch Schmerzen? Wie wird ein Mensch nach der
Entnahme seiner Organe behandelt? Bleibt genügend Zeit und Raum, in
Ruhe und Würde von einem Menschen vor der Organentnahme Abschied zu
nehmen? Wie verhalten sich Patientenverfügung und Organspende
zueinander? Diese schwierigen Fragen lassen sich nicht kurz und
völlig eindeutig beantworten. Daher hat der Rat dazu eine gründliche
Ausarbeitung in Auftrag gegeben.
Die evangelische Kirche möchte Ihnen Mut machen, sich diesen
Fragen ohne das Gefühl einer Bedrängung zu stellen und in aller Ruhe
zu überlegen, ob Sie zu einer Organspende bereit sein wollen oder
nicht. Sie können in Ihrer Umgebung sicherlich auch seelsorgerliche
Beratung in Anspruch nehmen. Es ist gesetzlich festgeschrieben, dass
jede und jeder Einzelne sich frei für oder gegen eine Organspende
entscheiden oder aber diese Entscheidung einer Vertrauensperson
überlassen kann.
Vielleicht kann es Ihnen helfen, folgende Gesichtspunkte zu
bedenken: Nach christlichem Verständnis sind das Leben und damit der
Körper des Menschen ein Geschenk Gottes. Diesen kann und darf er aus
Liebe zum Nächsten und aus Solidarität mit Kranken einsetzen. Eine
Entnahme von Organen verletzt nicht die Würde des Menschen und stört
nicht die Ruhe der Toten. Unsere Hoffnung auf die Auferstehung bleibt
davon unberührt.
Es gibt keine christliche Verpflichtung zur Organspende.
Christinnen und Christen können der Organspende zustimmen; sie können
sie aber auch ablehnen. Sie müssen sich auch gar nicht entscheiden,
sondern können die Frage unbeantwortet lassen, wenn sie sich
gegenwärtig nicht in der Lage zu einer Entscheidung sehen. Alle diese
Optionen sind christlich verantwortbar und ethisch zu respektieren.
Allerdings sollten Sie berücksichtigen: Wenn Sie sich zu Lebzeiten
nicht für oder gegen eine Organ- oder Gewebespende entscheiden,
verpflichtet das Gesetz Ihre Angehörigen, so zu entscheiden, wie Sie
es vermutlich gewollt hätten. Diesen dürfte aber eine Entscheidung
noch schwerer fallen als Ihnen selbst. Insofern entlasten Sie Ihre
Angehörigen in der schwierigen Situation des Abschiedsnehmens, wenn
sie um Ihre Entscheidung wissen.
Die Freiheit des Gewissens darf nicht bedrängt und die Hilfe für
den Nächsten nicht durch Besorgnisse eingeschränkt werden. Deswegen
erinnern wir an die Verheißung Gottes, die angesichts des Todes eines
Menschen verkündigt wird:
"Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den
Toten, siehe, so bist du auch da." (Psalm 139, 8)
Präses Dr. h.c. Nikolaus Schneider
Vorsitzender des Rates der EKD
Hannover, 27. November 2012
Pressestelle der EKD
Reinhard Mawick
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