(ots) - Das deutsche Hochschulsystem ist noch nicht
ausreichend auf die demografische Herausforderung vorbereitet. Um
sinkenden Studierendenzahlen, der wachsenden Vielfältigkeit der
Bildungsbiografien und dem steigenden Weiterbildungsbedarf gerecht zu
werden, muss die Hochschullandschaft gezielt weiterentwickelt werden.
Das ist eines der Ergebnisse des ersten Hochschulbildungsreports, den
der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und McKinsey &
Company heute in Berlin vorgestellt haben.
Der Hochschulbildungsreport 2020 erscheint 2013 zum ersten Mal.
Mit ihm möchten die Initiatoren der Debatte um die Zukunft der
Hochschulbildung eine klare Richtung und analytische Substanz geben.
Der Report analysiert künftig jedes Jahr den Status quo des
Hochschulsystems anhand von 70 Indikatoren, zeigt Veränderungen und
Trends auf, formuliert messbare Ziele für das Jahr 2020 und gibt
Empfehlungen, wie diese Ziele zu erreichen sind. Untersucht werden
sechs Handlungsfelder: chancengerechte Bildung, beruflich-akademische
Bildung, quartäre Bildung (also die akademische Weiterbildung),
internationale Bildung, Lehrer-Bildung und MINT-Bildung (Mathematik,
Informatik, Naturwissenschaften, Technik). Auf allen Handlungsfeldern
verzeichnet der Report in der ersten Ausgabe Fortschritte gegenüber
dem Vorjahr, nur bei der Lehrerbildung hat es Rückschritte gegeben.
Mehr Differenzierung im Angebot
Jürgen Schröder, Director von McKinsey Deutschland, wies auf die
positiven Ansätze im Hochschulsystem hin: "Es gibt immer mehr
Studierende ohne Abitur, immer mehr Weiterbildungsstudierende, immer
mehr Fernstudierende. Das ist eine gute Entwicklung. Allerdings
hinken die Hochschulen mit entsprechenden Studienangeboten bislang
hinterher. Hier liegt noch ein großes Akademisierungspotenzial, das
es mit Blick auf die langfristige demografische Entwicklung zu heben
gilt. Das derzeitige Studierenden-Hoch sollte uns nicht über die
langfristig dramatischen Auswirkungen des Geburtenrückgangs
hinwegtäuschen."
Nichtakademikerkinder zum Studienerfolg führen
Andreas Schlüter, Generalsekretär des Stifterverbandes, sagte:
"Eine der größten Herausforderungen des Hochschulbildungssystems
besteht darin, mehr Jugendliche mit Migrationshintergrund und mehr
Nichtakademikerkinder zum Studienerfolg zu führen. Wir müssen
Herkunft und Bildungschancen entkoppeln. Das ist nicht nur gerecht,
sondern auch notwendig, denn wir können es uns nicht länger leisten,
soviel Talent brachliegen zu lassen und so viel Potenzial zu
ver-schwenden." Stifterverband und McKinsey empfehlen, die
Studieneingangsphase zu stärken und neu zu strukturieren, um
unterschiedliche Vorkenntnisse der Studienanfänger auszugleichen.
Ausgewählte Hochschulen in Ballungsräumen sollten sich als
Integrationshochschulen profilieren, die sich mit ihren Strategien,
Strukturen und Angeboten an den speziellen Bedürfnissen von
unterrepräsentierten Studierendengruppen ausrichten.
Das deutsche Bildungssystem sollte insgesamt durchlässiger
gestaltet werden und mehr Angebote an der Schnittstelle zwischen
beruflicher und akademischer Bildung schaffen, so die Autoren der
Studie. Wechsel in beide Richtungen sollten erleichtert und
Kompetenzen und Qualifikationen gegenseitig besser anerkannt werden.
Stifterverband und McKinsey empfehlen den weiteren Ausbau dualer
Studiengänge sowie die konsequente Öffnung der Hochschulen für
Studierende ohne Abitur, aber mit einer entsprechenden beruflichen
Qualifikation. Hochschulen sollten mehr zeitlich und räumlich
flexibel studierbare Studienangebote einrichten, die es
Arbeit¬nehmern erlauben, sich über ein ganzes Berufsleben hinweg für
ihre jeweiligen Aufgaben zu qualifizieren.
86 Prozent der jungen Lehrer sind weiblich
Die derzeit größte Baustelle an den Hochschulen ist die
Lehrerbildung und hier vor allem die Diversität im Studium und in den
Lehrerzimmern. Der typische Lehrer ist weiblich und deutsch, in den
Schulen sorgen allein die Schüler für Vielfalt. Ihnen fehlen
Vorbilder und Ansprechpartner. Nur 0,1 Prozent der Ausländer werden
Lehrer. Nicht mal ein Drittel der Lehrer sind männlich, bei den unter
30-Jährigen sogar nur 14 Prozent.
"Die Hochschulen sollten sich aktiv um mehr Diversität bei den
Studienanfängern in Lehramtsstudiengängen bemühen. Die Lehrerbildung
muss sich an der Schulpraxis orientieren, sie darf nicht länger
Anhängsel der Fachausbildung sein", sagte Andreas Schlüter: "In der
Schule werden die Grundlagen für den Studienerfolg gelegt. Wir müssen
die besten Abiturienten für den Lehrerberuf gewinnen, und wir
brauchen hier dringend mehr Ausländer und Männer. Wir appellieren an
Bund und Länder, die angekündigte Qualitätsoffensive zur
Lehrerbildung umzusetzen und dabei das Thema Diversität in den Blick
zu nehmen." Stifterverband und McKinsey empfehlen, den Quereinstieg
in den Lehrerberuf zu erleichtern und die Attraktivität des
Grundschullehramts durch eine leistungsgerechte Bezahlung und bessere
Karrierechancen zu erhöhen.
Weitere zentrale Ergebnisse der Studie: Die MINT-Bildung hat
weiterhin mit hohen Abbrecherquoten zu kämpfen: Nur zwei von drei
Studienanfängern schaffen tatsächlich einen Abschluss. Stifterverband
und McKinsey regen daher ein Studienerfolgsmonitoring an, das den
Studienerfolg mit finanziellen Anreizen für Hochschullehrer und
Fakultäten verknüpft. Ähnliche Herausforderungen gibt es im Bereich
der internationalen Bildung: Zwar bleiben 31 Prozent der
ausländischen Absolventen zum Arbeiten in Deutschland, mehr als
jemals zuvor. Dennoch gehen zu viele aus¬ländische Studierende dem
Arbeitsmarkt verloren: Ihre Abbrecherquote ist mit 50 Prozent doppelt
so hoch wie die der deutschen Studierenden. Stifterverband und
McKinsey empfehlen, verstärkt Unternehmen in die Betreuung
ausländischer Studierender einzubinden, um ihnen früh konkrete
berufliche Perspektiven aufzeigen zu können.
Hintergrund: Ãœber den Hochschulbildungsreport 2020
Für den Hochschulbildungsreport 2020 haben Stifterverband und
McKinsey gemeinsam mit Experten aus Hochschulen, Unternehmen und der
Wissenschaft sechs wichtige Handlungsfelder identifiziert, die den
analytischen Rahmen des Berichtes bilden: Chancengerechte Bildung,
beruflich-akademische Bildung, quartäre Bildung, internationale
Bildung, Lehrer-Bildung und MINT-Bildung. In jedem dieser
Handlungsfelder betrachtet der Report die relevantesten Indikatoren.
Diese insgesamt 70 Indikatoren zeigen, wo wir in der Hochschulbildung
heute stehen. Für jeden Indikator werden anhand internationaler
Standards und gesellschaftlicher Entwicklungen messbare Ziele für das
Jahr 2020 festgelegt. Der Hochschulbildungsreport gibt zudem konkrete
Empfehlungen, wie sich die Ziele in den einzelnen Handlungsfeldern
erreichen lassen. Der Report wird die Entwicklung in den sechs
Handlungsfeldern in den kommenden Jahren verfolgen und die
Zielerreichung analysieren und dokumentieren.
Mehr Informationen unter: www.hochschulbildungsreport.de
Pressekontakt:
Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft
Moritz Kralemann
Tel.: (0 30) 32 29 82-5 27
E-Mail: moritz.kralemann(at)stifterverband.de
McKinsey & Company
Kai Peter Rath
Tel.: (02 11) 1 35- 42 04
E-Mail: kai_peter_rath(at)mckinsey.com