(ots) - Der auf knapp acht Stunden verkürzte Besuch des
ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi in Berlin hatte es in sich.
Die Visite des untersetzten Muslimbruders war eine schwierige
Gratwanderung für Berlin und für Kairo. Der Besuch war zudem im
Vorfeld mit vielen Fragen, Forderungen, Wünschen und Hoffnungen
nahezu überfrachtet worden. Und er fand vor dem dramatischen
Hintergrund der blutigen Unruhen im Land am Nil selbst statt.
Solcherart aufgeladene Treffen können auch schiefgehen. Doch dazu kam
es gestern nicht. Und dies vor allem aus zwei Gründen: Erstens gab
Mursi den zum aufrechten Demokraten geläuterten Muslimbruder, dem das
Wohl seines Landes wichtiger sei als die islamistischen
Partikular-Interessen seiner Bewegung. Und zweitens hat Kanzlerin
Angela Merkel in einer Mischung aus fordernder Diplomatie und kühlem
Pragmatismus dem Besuch so etwas wie einen Anschein von Normalität
verliehen. Sie empfing den umstrittenen Präsidenten mit den üblichen
Zeremonien. Sie forderte ihn auf, den Weg der Demokratie
fortzusetzen, ohne ihn an den Pranger zu stellen. Und erst Recht,
ohne sich bei ihm anzubiedern. Neudeutsch nennt man so etwas wohl:
Business as usual. Die Geschäfte laufen normal weiter. Selbst
kritische Nachfragen nach seinen Israel-kritischen Äußerungen wischte
Mursi gestern mit ein paar Floskeln vom Tisch, die auch von
westlichen Politikern stammen könnten. Dass er den israelischen
Nachbarn als "Blutsauger" und "Kriegstreiber" verunglimpft habe, tat
Mursi mit der Bemerkung ab, die Zitate seien aus dem Zusammenhang
gerissen worden. Er stimmte im gleichen Atemzug das Hohelied von
Demokratie und Menschenrechten an. Der Präsident aus Kairo wusste
offenbar genau, was man in Berlin von ihm hören wollte. Und natürlich
stehe er für Religionsfreiheit. Das mögen viele seiner Landsleute am
Nil anders sehen. Wahrscheinlich nicht nur verfolgte koptische
Christen. Mursi verscherzt es sich auch mit den Jungen, mit den
Unzufriedenen, die vor zwei Jahren maßgeblich die "Arabellion"
begannen. Viele der damaligen Hoffnungen werden von ihm nun bitter
enttäuscht und sogar gewaltsam hinweggefegt. Dem arabischen Frühling
folgte ein demokratischer Winter. Ägypten droht im Chaos zu
versinken. Und Mursi erscheint vielen nicht als Teil der Lösung,
sondern als Teil des Problems. Das deutsche Verhältnis zu Ägypten ist
dabei durchaus vielschichtig. Berlin braucht Kairo als einen
verlässlichen, politisch-stabilen Partner im Nahen Osten. Die
Einhaltung des Friedensvertrages mit Israel etwa ist für die Existenz
des jüdischen Staates enorm wichtig. Auch wäre es für Deutschland,
den gesamten Westen und den nordafrikanischen Raum verheerend, wenn
sich mit Mursi am Nil eine islamistische Diktatur ausbreiten würde.
Anzeichen dafür gibt es leider genug. Auf der anderen Seite verbinden
beide Länder vielfältige wirtschaftliche Bande. Nicht nur im
Tourismus, der wegen der Unsicherheit in einigen Regionen Ägyptens
enorme Einbrüche zu beklagen hatte. Deutsche Investoren verlangen
Sicherheit am Nil. Mursi wiederum benötigt für die ägyptische
Wirtschaft ausländisches Kapital, Wirtschaftshilfe und womöglich auch
eine teilweise Streichung von Staatsschulden, um die
darniederliegende Wirtschaft in Gang zu bringen. So umstritten der
ägyptische Präsident national und international auch sein mag,
Mohammed Mursi ist für Berlin derzeit ohne Alternative. Autor:
Reinhard Zweigler
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