(ots) - So bizarr kann Politik sein: Angela Merkel will
die Türkei zwar immer noch nicht als Mitglied im erlauchten EU-Klub
haben, doch in Ankara musste sie dem ehrgeizigen türkischen
Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan nun zumindest bei der Stange
halten und etwas Hoffnung machen, dass der Zug in Richtung Europa
noch nicht abgefahren ist. Merkels Politik gegenüber der Türkei ist
janusköpfig, so wie auch der verworrene Knoten der Probleme im
Verhältnis zwischen Brüssel und Ankara nicht mit einem Schlag zu
zertrennen ist. Merkel hat nun zumindest angekündigt, dass der
jahrelange Stillstand zwischen Brüssel und Ankara überwunden und ein
neues Beitrittskapitel eröffnet werden könnte. Ihr unbestimmtes
Konzept einer "privilegierten Partnerschaft" hat sie jetzt
interessanterweise nicht wieder hervorgekramt. Auch ohne diesen
verquasten Begriff werden die zahlreichen und hohen Hürden zwischen
beiden Seiten nicht so einfach verschwinden. Die Beziehung zwischen
der Türkei, Deutschland und der EU wächst sich zu einem unendlichen
Kapitel aus. Aufgeschlagen wurde es vor Jahrzehnten schon, als
Kanzler Konrad Adenauer dem Nato-Partner Türkei die Mitgliedschaft in
der damaligen europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in Aussicht
stellte. Unter dem Eindruck des Kalten Krieges sollte der Verbündete
an der Südost-Flanke des westlichen Bündnisses gegenüber der
Sowjetunion gestärkt und fest in der westlichen Gemeinschaft
verankert werden. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs hat sich
freilich auch die Rolle der Türkei gewandelt. Ankara stieg zu einer
wichtigen Mittelmacht im Nahen Osten auf. Seine Wirtschaft boomt mit
Wachstumsraten, von denen die EU-Staaten nur träumen können.
Besonders eng ist die wirtschaftliche, politische und
gesellschaftliche Verzahnung mit Deutschland, wo rund drei Millionen
Türken leben, mit oder ohne deutschem Pass. Die EU, Deutschland und
die Türkei brauchen einander mehr denn je. Das Land am Bosporus hat
eine strategisch wichtige Lage für die Energie- und Rohstoffströme
der Zukunft. Seit kurzem verteidigen deutsche Soldaten den türkischen
Luftraum gegen mögliche Attacken aus Syrien. Deutsche Innenpolitik
wiederum, etwa bei der Migration, hat gewissermaßen eine türkische
Komponente. Und weil die Opfer der NSU-Terrormorde vor allem
türkisch-stämmige Bürger in Deutschland waren, schaut Ankara
besonders genau hin, wie der deutsche Staat mit Türken umgeht, welche
Staatsbürgerschafts- oder Visa-Politik Berlin betreibt. Der Türkei
eine Vollmitgliedschaft kategorisch zu verweigern, wäre vor dem
Hintergrund der engen, vielfältigen Beziehungen geradezu töricht.
Auch weil sich Ankara, wenn die Europäische Union weiterhin die kalte
Schulter zeigt, dann der von China und Russland dominierten
Organisation der Shanghai Five annähern könnte. Auf der anderen Seite
darf es keine bedingungslose EU-Mitgliedschaft für Ankara geben. Es
existiert eine lange Liste ungelöster Probleme, von der Zypern- oder
der Kurden-Frage, der Haltung zu religiösen Minderheiten oder der
Rechtsstaatlichkeit bis zur Gleichberechtigung von Frauen oder
Homosexuellen. Die Türkei tut sich schwer mit Reformen. Wohl auch
deshalb, weil es zuletzt kaum noch Reformdruck aus Brüssel gab. Mit
Ausdauer, Reformkraft und Entschlossenheit auf beiden Seiten könnte
das unendliche Kapitel Türkei und EU dennoch zu einem guten Ende
geführt werden. Autor: Reinhard Zweigler
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