(ots) - Das Wahlergebnis in Italien hat Deutschland
erschreckt. Dabei ist es ein klares Signal an Europa.
Wer Klischees über Italien mag, der kommt seit Montagnachmittag
voll auf seine Kosten. Nach der Parlamentswahl herrschten
"italienische Verhältnisse", ist in einer Berliner Zeitung zu lesen.
Über die "Grande Confusione" auf dem Stiefel spöttelt ein
Boulevard-Blatt. Es wirkt überheblich, wenn festgehalten wird,
Millionen Italiener seien trotz der schwierigen Lage ihres Landes so
naiv, dass sie den "Populisten" Silvio Berlusconi und Beppe Grillo
erlegen seien. Denn mit Naivität lässt sich beileibe nicht erklären,
wie die Menschen südlich der Alpen gewählt haben. Das gilt für die
enttäuschenden Resultate des hauchdünnen Wahlsiegers, der
"Demokratischen Partei" (PD) von Pier Luigi Bersani, ebenso wie für
den kolossalen Flop des amtierenden Ministerpräsidenten Mario Monti.
In Europa mag man entsetzt sein, wie wenig Konsens der hochgepriesene
Reformer Monti daheim verbucht hat. Dabei ist das nur logisch: Seine
Politik hat weite Teile der Bevölkerung ärmer gemacht - Steuersünder
und Superreiche aber ebenso verschont wie die Privilegien der
Politik. PD-Kandidat Bersani bescheinigten Umfragen noch im Dezember
einen haushohen Vorsprung. Doch im Wahlkampf nahm er, der im Falle
eines klaren Wahlsiegs mit Monti koalieren wollte, vor allem Floskeln
in den Mund und lieferte kaum konkrete Antworten auf die Not der
Bevölkerung. Anders als Berlusconi. Dessen Werte sind im Vergleich
zur Wahl von 2008 zwar eingebrochen. Doch mit gekonnt inszenierten
TV-Auftritten hat er immerhin den harten Kern der Mitte-Rechts-Wähler
gewonnen - und mit dem Versprechen konkreter Entlastungen bei vielen
gepunktet, welche die Wirtschaftskrise an den Rand des
Existenzminimums getrieben hat. Und auch die meisten Wähler von Beppe
Grillos Bewegung "Fünf Sterne" (M5S) verdienen das Prädikat "naiv"
nicht. Der Wuschelkopf aus Genua ist zwar Komiker, aber keine
Witzfigur. Er arbeitet sich seit den 80er Jahren auf der Bühne an der
korrupten politischen Klasse des Landes ab - mit scharfer Analyse,
bissiger Kritik und interessanten Vorschlägen. Das "Time Magazine"
pries ihn 2005 für seinen Mut, heikle politische Themen anzusprechen.
Seine Bewegung will die großen Übel Italiens beim Schopf packen:
Vetternwirtschaft und Korruption, die absurden Privilegien der
Politik, den Einfluss mafiöser Organisationen - und spricht damit
vielen Italienern aus der Seele. Unter Grillos Anhängern sind viele
Handwerker, Kleinunternehmer und hoch spezialisierte Akademiker, die
die Misere ihres Landes nicht mehr ertragen wollen. Manche von
Grillos Rezepten - wie ein Referendum für den Austritt aus der
Eurozone - sind verquer, sein Umgang mit kritischen Fragen ist
grenzwertig. Doch das Fundament seiner Bewegung ist der Glaube an
eine bessere, integrere, glaubwürdigere Politik. Und die braucht
Italien gerade in der Krise mehr denn je. Es wäre das Beste für
Italien, wenn der Wahlsieger PD auf Grillos M5S zuginge - anstatt die
Fühler auszustrecken nach einer großen Koalition mit Berlusconis
Bündnis, welches das Land an den Rand des Bankrotts geführt hat. Die
Politik in Deutschland täte gut daran, das Votum der Italiener nicht
als kollektiven Fehler abzutun. Die Ohrfeige für Monti und Bersani
ist vielmehr eine deutliche Absage an die Sparpolitik nach Berliner
Rezept. Eine Politik also, die - wie in Griechenland und anderen
Krisenländern - vor allem sozial Schwache und ehrliche Steuerzahler
belastet: diejenigen also, die für die Probleme in ihrem Land am
wenigsten können. Wer nur auf Haushaltssanierung pocht und die
Menschen hinter dem Bruttoinlandsprodukt vergisst, verdient am Ende
vor allem ein Prädikat: naiv.
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