Eine neue Studie der Chicago Booth School of Business zeigt, dass die Wahrnehmung von Zeit stark von der räumlichen Bewegung abhängt. Wir tendieren dazu, uns der Zukunft näher zu fühlen, weil wir den Eindruck haben, uns auf sie zuzubewegen.
(firmenpresse) - April 2013. Wir sagen, dass die Zeit rennt, voranschreitet oder wie ein Fluss fließt. Unsere Beschreibungen der Zeit sind eng mit räumlichen Bewegungen verbunden. Neue Forschungsergebnisse der Chicago Booth School of Business zeigen nun, dass sich die Eindrücke, die unsere Wahrnehmung der räumlichen Bewegung beeinflussen, auch auf unsere Wahrnehmung der Zeit auswirken. Die Ergebnisse liefern Beweise dafür, dass unsere Erfahrungen von Raum und Zeit noch mehr gemeinsam haben, als bisher angenommen.
„Es scheint, als hätten Wissenschaftler bislang die wichtige Tatsache vernachlässigt, dass Menschen Vergangenheit und Zukunft in alltäglichen Situationen nicht gleich beurteilen“, erklärt Eugene Caruso, Professor für Verhaltenswissenschaften an der Chicago Booth.
Aus der Forschung zur räumlichen Wahrnehmung wissen wir, dass sich Menschen Objekten näher fühlen, auf die sie sich zubewegen, als Objekten, von denen sie sich entfernen, auch wenn ihr Abstand zu diesen Objekten identisch ist. Da unsere zeitliche Wahrnehmung auf unseren Erfahrungen von Raum beruhen, stellten Caruso und sein Team die Hypothese auf, dass ebendiese Vorstellung auch unsere zeitliche Wahrnehmung beeinflusst und zu dem führt, was sie einen ‚temporalen Dopplereffekt‘ nennen.
Indem sie Pendler an einem Bahnhof befragten, stellten die Forscher fest, dass Menschen Zeitpunkte in der Zukunft als der Gegenwart näher empfinden als ebenso weit entfernte Zeitpunkte in der Vergangenheit. In einer weiteren Untersuchung, einer Online-Umfrage, hatten die Teilnehmer eine Woche vor dem Valentinstag den Eindruck, der Tag sei der Gegenwart näher, als diejenigen die eine Woche nach dem Valentinstag befragt wurden.
Diese Ergebnisse deuten auf eine Beziehung zwischen räumlicher Bewegung und zeitlicher Wahrnehmung hin. Um eine direkte Verbindung zwischen den beiden herzustellen, führten die Forscher eine weitere Studie mithilfe einer virtuellen Realitätsumgebung durch.
Den Studenten wurde ein Display-Helm aufgesetzt, der ihnen eine Szene mit einer zweispurigen, von Bäumen, Straßenleuchten und Gebäuden gesäumten Straße zeigte. Einige der Studenten erlebten diese Szene, als gingen sie auf einen sprudelnden Brunnen am Ende der Straße zu, während andere den Eindruck hatten, sie gingen rückwärts, weg vom Brunnen. Anschließend mussten die Studenten sagen, wie weit entfernt ihnen ein Zeitpunkt (in drei Wochen oder vor drei Wochen) erschien.
Nur die Studenten, die vorwärts gegangen waren, sagten, der Zeitpunkt in der Zukunft erschiene ihnen näher als derjenige in der Vergangenheit. Diejenigen, bei denen die Bewegung rückwärts und die Richtung des Ereignisses in der Zukunft nicht übereinstimmten, zeigten keinen temporalen Dopplereffekt. Dies bestätigt, dass unsere Wahrnehmung der Zeit auf unserer Erfahrung der räumlichen Bewegung basiert.
Caruso und seine Kollegen veranschaulichen, dass diese Zukunftsorientierung nicht nur eine Laune der Wahrnehmung ist, sondern einen wichtigen Zweck hat. Menschen beherrschen die Kunst der Zeitreise noch nicht und können dementsprechend die Vergangenheit nicht ändern. Wir sind jedoch sehr wohl in der Lage, uns auf die Zukunft vorzubereiten. Dass wir zukünftige Ereignisse als näher einstufen, könnte ein psychologischer Mechanismus sein, der uns dabei hilft, auf Ereignisse zuzugehen, sie zu vermeiden oder uns auf sie einzustellen.
Die Forscher wollen in künftigen Studien die funktionalen Aspekte des temporalen Dopplereffekts untersuchen. Folgende Fragen stehen im Vordergrund: Steht der Effekt mit der psychischen Gesundheit in Verbindung? Welche negativen Folgen kann es haben, wenn Menschen eine umgekehrte Asymmetrie aufweisen, d. h. die Vergangenheit als näher empfinden als die Zukunft? Macht die Beseitigung des Effekts es uns schwerer, Pläne zu schmieden und Entscheidungen für die Zukunft zu treffen?
„Die Studie ist enorm wichtig, weil die Idee der psychologischen Distanz im Mittelpunkt der Theorie und Forschung jedes Teilgebiets der Psychologie steht, einschließlich der sozialen, der kognitiven und klinischen Psychologie sowie der Entwicklungspsychologie. Und doch wurde bisher stillschweigend angenommen, dass die Distanz zur Vergangenheit und zur Zukunft gleich ist“, konstatiert Caruso.
Auch wenn Philosophen vielleicht noch immer über die Direktionalität der Zeit diskutieren, weisen diese Studien darauf hin, dass unsere subjektive Erfahrung der Zeit eindeutig direktional ist. „Unsere Arbeit lässt vermuten, dass es einen systematischen Unterschied gibt, wie Menschen die Distanz zur Vergangenheit und zur Zukunft wahrnehmen“, fasst Caruso zusammen.
Die Studie wurde in der Fachzeitschrift Psychological Science veröffentlicht und lässt sich hier herunterladen.
University of Chicago Booth School of Business
Die Booth School of Business der Universität Chicago ist weltweit eine der führenden Business Schools. Die Fakultät verfügt über zahlreiche bekannte Persönlichkeiten. Abgänger der Chicago Booth bekleiden in den USA und weltweit Schlüsselpositionen. Der Ansatz der Management-Lehre unterscheidet sich an der Chicago Booth von den üblichen Methoden durch die äußerst effiziente Wissensvermittlung, ihre Strenge und den praktischen Umgang mit den neuen Herausforderungen des Wirtschaftslebens.
Die Fakultät bietet MBA-Programme als Ganz- und Teilzeitstudium, ein PhD-Programm und offene Einschreibungsmöglichkeiten für Weiterbildung von Führungskräften sowie maßgeschneiderte Programme für Unternehmensführung. Die Fakultät verfügt über Hochschulanlagen in London, Chicago und Singapur. Zurzeit sind 1.162 MBA-Vollzeit- und 2.012 MBA-Teilzeitstudenten eingeschrieben. 190 von ihnen studieren in London; 123 sind PhD-Studenten. Aus der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät gingen sechs Nobelpreisträger hervor. Zu den erfolgreichsten Absolventen gehören James A. Rasulo, Vorstandsvorsitzender und CEO, Walt Disney Company; Bart Brecht, ehemaliger CEO, Reckitt Benckiser plc; Brady Dougan, CEO, Credit Suisse sowie David Booth, Gründer und Präsident von Dimensional Fund Advisors. Für ihn wurde die Schule 2008 umbenannt. http://www.chicagogsb.edu