(ots) - Von Damen, die mit nackter Haut gegen den
"Diktator Putin" demonstrierten, hat sich Russlands Präsident gestern
in Hannover ebenso wenig beeindrucken lassen wie von den kritischen
Worten der deutschen Kanzlerin. Angela Merkel hat dem Gast aus Moskau
höflich, aber bestimmt Vorhaltungen gemacht. Dass die russischen
Behörden ohne Gerichtsbeschluss Büros und Computer von
Nichtregierungsorganisationen durchsuchen und deren Mitarbeiter als
"Agenten" des Auslands registrieren, ist in einem demokratischen
Rechtsstaat nicht hinnehmbar. Diese Kritik war notwendig und ebenso
angebracht. Trotz und gerade, weil Russland als Handelspartner sowie
auf der internationalen Bühne gefragt ist. Allerdings ist Russland,
das sich immer noch als eine Art Supermacht sieht, keine "lupenreine
Demokratie". Putin, den eine offenbar unverbrüchliche
Männerfreundschaft mit Ex-Kanzler Gerhard Schröder verbindet, sieht
sein Land eher als eine "gelenkte Demokratie". Was gut und richtig
für das Land ist, bestimmen er und die Nomenklatura. Die Opposition,
die in Russland kaum entwickelt ist, wird verhöhnt, verfolgt,
verurteilt. Als der einstige Oligarch und Öl-Konzernchef Michail
Chodorkowski ernsthaft nach einer politischen Karriere - gegen Putin
- strebte, ließ ihn der Kremlchef mit Hilfe einer willfährigen Justiz
und weit auslegbarer Gesetze zu einer lange Freiheitsstrafe
verdonnern. Was wohl vor allem als Signal an die anderen Oligarchen
gedacht war, die die russische Industrie beherrschen, sich nicht mit
dem Kreml anzulegen. Kann man nun aber mit einem "Diktator light",
kann man mit Putins Russland wirtschaftliche Beziehungen unterhalten?
Aber natürlich, man muss es sogar. Zum beiderseitigen Nutzen, wie man
es selbst in den kältesten Zeiten des Kalten Krieges getan hat. Es
gilt das mühsame Prinzip des Wandels durch Handel. Russland ist nicht
nur ein riesiger Rohstofflieferant für Deutschland - Gas, Öl und
anderes, sondern auch ein großer Absatzmarkt für deutsche Maschinen,
Lebensmittel, Luxusgüter. Deutschland und der Westen insgesamt werden
Demokratie und Menschenrechte, so wie wir sie verstehen und
praktizieren, nicht eins zu eins in das russische Riesenreich
exportieren können. Das muss im Post-Sowjetstaat Stück für Stück von
unten wachsen. Ein Geflecht von wirtschaftlichen Beziehungen zwischen
deutschen und russischen Unternehmen jedoch, Kooperationen sowie der
Austausch von Wissen, können demokratischen Entwicklungen den Boden
bereiten. Das beiderseitige Potenzial aber ist noch lange nicht
ausgeschöpft. Russlands Wirtschaft braucht dringend moderne
Technologien, auch unternehmerisches Know-how aus dem Westen.
Russland bietet auf der anderen Seite gigantische Möglichkeiten,
unermessliche Bodenschätze, flexible und freundliche Menschen.
Allerdings drücken eine weit verbreitete Korruption und eine
schwerfällige Bürokratie die Waagschale wieder nach unten. Auch auf
internationalem Terrain, in Sicherheits-, Abrüstungs- oder
Umweltfragen etwa, muss der Westen Moskau und Putin mit ins Kalkül
ziehen. Russland ist zwar keine Supermacht mehr, aber es verfügt
dennoch über enormen Einfluss. Im Syrien-Konflikt, wo Putin eisern an
Diktator Assad festhält, ist das schmerzvoll zu verspüren. Wer mit
Moskau klar kommen will, muss den Spagat beherrschen.
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