(ots) - Schwere Gewalttaten gehören in Deutschlands
Jugendstrafanstalten zum Alltag. Sie sind die Normalität, werden aber
von den Bediensteten großenteils gar nicht bemerkt. Fast jeder zweite
jugendliche Strafgefangene hat bei Befragungen für die bislang größte
Untersuchung zu diesem Problem angegeben, er habe in den letzten drei
Monaten einen Mitgefangenen verletzt. Diese Ergebnisse stellt der
Direktor des Instituts für Kriminologie an der Universität Köln,
Prof. Frank Neubacher, am Dienstag, 7. Mai, in "Panorama - die
Reporter" im NDR Fernsehen vor.
Für die umfassendste Studie ihrer Art haben Neubacher und seine
Mitarbeiter 882 Gefangene aus den Justizvollzugsanstalten Heinsberg
und Herford (beide in Nordrhein-Westfalen) sowie Ichtershausen
(Thüringen) befragt. Um wirklich verlässliche Ergebnisse zu erhalten,
wurden die Befragungen mehrfach wiederholt. Die jeweilige
Ãœbereinstimmung der Ergebnisse gab den Wissenschaftlern die
Gewissheit, dass die Angaben stimmten.
43 Prozent der befragten Strafgefangenen gab an, Mitgefangene
absichtlich am Körper verletzt, getreten oder geschlagen zu haben.
Nur die wenigsten Strafgefangenen waren laut Studie frei von
Gewalterfahrungen: Nur rund fünf Prozent der Befragten gab an, in den
letzten drei Monaten weder psychische noch physische Gewalt erlebt zu
haben. Dazu Neubacher: "Das Meiste, was passiert, wird den
Bediensteten gar nicht bekannt." Es gebe Vollzugsbeamte, die sagten:
"Dieses Ausmaß können wir uns gar nicht recht vorstellen." Er,
Neubacher, habe sich "gewundert, in welchem Maß der Vollzug
verwundert war über die Existenz dieses Dunkelfeldes." Vieles bleibe
eben unter der Decke, weil es unter den Gefangenen die eherne Regel
gebe: "Man verpetzt sich nicht."
70 Prozent aller befragten Strafgegangenen waren sowohl Täter als
auch Opfer. Sehr häufig, so Prof. Neubacher, entwickelten sich junge
Strafgefangene von Opfern zu Tätern. Wenn sie einmal Gewalt erfahren
hätten, sagten sie sich: "Ich werde mir unter diesen Umständen
vielleicht nur mit Gewalt helfen können. Insofern ist das ein Problem
im Jugendstrafvollzug, dass Gewalt dort natürlich auch erlernt und
weiter verfestigt wird." Vor einigen Jahren hatten Insassen der
Jugendstrafvollzugsanstalt Siegburg einen Mitgefangenen zu Tode
gequält. Fälle von regelrechter Folter wurden auch aus den
Strafanstalten Hameln und Ichtershausen bekannt.
Als Gegenmaßnahmen nennt der Kriminologe: "Haftvermeidung" - also
möglichst Verzicht auf Gefängnisstrafe, wenn die Straftat eines
jugendlichen Delinquenten das irgendwie zulasse. Auch sei es "keine
gute Entwicklung, dass Jugendstrafanstalten bis zu 700 Haftplätze
haben". In großen Anstalten sei "das Gewaltvorkommen deutlich
größer". Außerdem müsse mehr in Personal, insbesondere Sozialarbeiter
und Psychologen, investiert werden. Und es müssten den Gefangenen
mehr Beschäftigungs- und Ausbildungsmöglichkeiten geboten werden.
"Panorama - die Reporter": Dienstag, 7. Mai, 21.15 Uhr, NDR
Fernsehen
Weitere Informationen zur Sendung finden Sie im Internet unter
panorama-reporter.de
Pressekontakt:
Norddeutscher Rundfunk
Presse und Information
Iris Bents
Tel.: 040/4156-2304