(ots) - Am Montag verkündet ein Mailänder Gericht sein
Urteil gegen Silvio Berlusconi im Fall "Ruby". Der viermalige
italienische Ministerpräsident, Senator und Chef der an der Regierung
beteiligten Partei "Volk der Freiheit" (PdL) ist wegen Prostitution
Minderjähriger und Amtsmissbrauchs angeklagt. Berlusconi soll die
minderjährige Prostituierte Karima El-Mahroug im Jahr 2010 für Sex
bezahlt und sein damaliges Amt als Regierungschef zur Verschleierung
dieses Delikts missbraucht haben. Die Staatsanwaltschaft fordert
sechs Jahre Haft und die Entfernung von allen öffentlichen Ämtern.
Unter normalen Umständen wäre spätestens im Fall einer Verurteilung
Berlusconis politische Karriere beendet. Doch seit seinem Eintritt in
die Politik vor knapp 20 Jahren herrschen keine normalen Zustände
mehr in Italien. Berlusconis jahrelange und mittels seiner
Medienmacht verbreitete Strategie, die Justiz als links und
parteiisch darzustellen, hat Wirkung gezeigt. Etwa zehn Millionen
Italiener gaben ihm noch bei der Parlamentswahl Ende Februar ihre
Stimme. Damit hält rund ein Drittel der Wähler die Behauptung von
Berlusconis politischer Verfolgung mit juristischen Mitteln für
glaubwürdig. In der degenerierten italienischen Demokratie und
angesichts des unzuverlässigen Staatsapparats überwiegt diese
Kosten-Nutzen-Rechnung bei vielen gegenüber moralischen Bedenken.
Diese auf einer Verdrehung der Wahrheit basierende Popularität ist
Berlusconis letzter Trumpf im Kampf um seine Freiheit. Doch der lange
Zeit erfolgreiche Versuch, sich der Verfolgung durch die Justiz mit
juristischen Tricks und auf den Leib geschneiderten Gesetzen zu
entziehen, wird immer komplizierter. Ein von Berlusconi geltend
gemachtes Immunitätsgesetz beurteilte das Verfassungsgericht soeben
als nicht einschlägig, jede Gesetzesänderung muss die
Berlusconi-Partei mit dem sensiblen und in der Krise befindlichen
Koalitionspartner, der Demokratischen Partei und Premier Enrico Letta
abstimmen. Berlusconi versucht nun, die Regierungsbeteiligung zu
seinen Gunsten auszunutzen. Er verspricht öffentlich stabile
Verhältnisse. Das Fortbestehen der Regierung ist aber die
Verhandlungsmasse bei seinem verzweifelten Kampf um Straflosigkeit.
Sobald er sich in die Enge getrieben sieht und wieder über den
nötigen Konsens bei den Wählern verfügt, wird Berlusconi Neuwahlen
provozieren. Bei den Kommunalwahlen Ende Mai hatte seine Partei
Stimmen eingebüßt. In diesem Szenario ist die Abschaffung der
Immobiliensteuer wesentlich. Die Einlösung dieses Versprechens aus
dem Wahlkampf könnte Berlusconi in den Umfragen wieder nach vorne
katapultieren. Ein erneuter Wahlsieg vor einer definitiven
Verurteilung wäre sein letztes Argument gegen die Richter. Italiens
Demokratie stünde dann vor einer Zerreißprobe, die drängenden
Probleme des Landes gerieten weiter in den Hintergrund. Der
Ruby-Prozess ist brisant, aber nur eine Etappe in diesem
politisch-juristischen Exodus. Eine Verurteilung wegen bezahlten
Sexes mit einer Minderjährigen und der Versuch der Vertuschung dürfte
das politische Klima in Italien weiter anheizen. Entscheidender ist
aber der "Mediaset"-Prozess, in dem für kommendes Frühjahr ein
definitives Urteil erwartet wird. Berlusconi wurde bereits in zweiter
Instanz zu vier Jahren Haft wegen Steuerbetrugs verurteilt. Außerdem
steht ihm auch in diesem Prozess die Entfernung aus allen
öffentlichen Ämtern bevor. Paradoxerweise dürfte Berlusconi weniger
eine Gefängnisstrafe als das Verbot zur Ausübung öffentlicher Ämter
fürchten. In Italien können Verurteilte über 70 Jahre ihre Strafe im
Hausarrest verbüßen oder im sozialen Dienst tätig werden, ins
Gefängnis muss Berlusconi im Fall einer letztinstanzlichen
Verurteilung also nicht mehr. Eine Begnadigung durch den
Staatspräsidenten gilt als ausgeschlossen, dafür ist der Politiker in
Italien zu umstritten. In Rom wird bereits darüber spekuliert, ob es
Berlusconi bald dem im Jahr 2000 verstorbenen Bettino Craxi
nachmachen wird. Der ehemalige Ministerpräsident entzog sich 1994
seiner Haftstrafe durch die Flucht nach Tunesien und starb im Exil.
Autor: Julius Müller-Meiningen
Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten(at)mittelbayerische.de