(ots) - MZ: Die EU ist gerade knapp an einer Krise
vorbeigeschrammt. Großbritannien hat sich beim EU-Gipfel gegen den
Finanzplan gestellt, den Sie zuvor mit ausgehandelt hatten. Wie
frustriert waren Sie, als Sie von dem Veto der Briten hörten?
Martin Schulz: "Ich habe das erst nicht geglaubt. Wir hatten am
Donnerstagmorgen eine Einigung erreicht, und das war schon eine
schwere Geburt. Und dann kommt der britische Premier David Cameron
und zweifelt diesen Kompromiss an..."
MZ: Nun aber kann das Geld für den Kampf gegen
Jugendarbeitslosigkeit fließen...
Martin Schulz: "Und dieses Geld reicht noch nicht aus. Es kann
nicht sein, dass man für Banken 700 Milliarden, für den Kampf gegen
Jugendarbeitslosigkeit aber nur sechs Milliarden Euro übrig hat.
Menschen sind mindestens so relevant wie Banken. Wir sind mit Abstand
der reichste Kontinent der Welt. Aber der Reichtum ist ungleich
verteilt - innerhalb der Völker und zwischen den Staaten. Es gibt
überall das gleiche Muster: Die Konzentration des Reichtums in immer
weniger Händen und die immer größere Verarmung von weiteren
Schichten. Dazwischen zerbröselt die gesellschaftliche Mitte. Deshalb
brauchen wir ein soziales Europa."
MZ: Was bedeutet das genau?
Martin Schulz: "Dazu gehört die Förderung von kleinen und
mittleren Unternehmen. Außerdem müssen wir gegen die Verödung der
ländlichen Räume kämpfen. Denn kein junger Mensch bleibt in einer
Stadt, die nicht an die technologische Entwicklung angebunden ist,
kein Unternehmen bleibt dort, wo kein schnelles Internet ist. Das
kostet Milliarden, aber das sind Investitionen, die sich in Zukunft
rechnen."
MZ: Beim Regensburger Gespräch der Friedrich-Ebert-Stiftung
verpassten Sie am Freitag dem politischen Entscheidungsprozess der EU
ein nicht ganz nettes Label. Sie sprachen von einem "neuartigen
Wiener Kongress". Was meinen Sie damit?
Martin Schulz: "Ich meine damit den Europäischen Rat der Staats-
und Regierungschefs, das Organ, das gerade zwei Tage in Brüssel
getagt hat. Das sind die Mächtigsten in Europa, sie treffen sich von
Zeit zu Zeit hinter verschlossenen Türen und beraten. Was sie
beschließen, erzählen sie dann ihren Untertanen. Die Öffentlichkeit
kann aber überhaupt nicht nachvollziehen, was in den Gesprächen
passiert ist und erfährt es auch nie. Aber die Entscheidungen
betreffen das Leben eines jeden einzelnen Menschen. Das ist eine
massive Entdemokratisierung und Entparlamentarisierung. Denn in einer
Demokratie teilt eine Regierung nicht einfach mit, sondern sie
erwirbt das Vertrauen des Parlaments oder nicht. Das erinnert mich
ein wenig an den preußischen Obrigkeitsstaat. Außerdem kann es nicht
sein, dass die Staats- und Regierungschefs Erfolge immer als
nationale Angelegenheiten darstellen, Misserfolge aber als
europäische Angelegenheiten. Es braucht einen Ort, wo die für ihr
mächtiges Handeln demokratisch Rechenschaft ablegen."
MZ: Welcher Ort soll das sein?
Martin Schulz: "Ich schlage vor, dass sie dem EU-Parlament
Rechenschaft ablegen. Wir brauchen eine EU-Kommission, eine
europäische Regierung, die vom Europäischen Parlament gewählt und
legitimiert wird. Der französische Präsident Hollande und
Bundeskanzlerin Angela haben vor 14 Tagen ein Papier zur Europäischen
Wirtschaftsregierung vorgelegt. Dort haben sie zum ersten Mal
anerkannt, dass die 17 Regierungschefs der Eurozone eine
Wirtschaftsregierung bilden sollen, die für diese Maßnahmen dem
EU-Parlament verantwortlich sind. Das ist ein großer Fortschritt in
meinem Kampf für mehr Rechte des Parlaments, den ich seit eineinhalb
Jahren führe."
MZ: Wie schafft es das EU-Parlament, stärker wahrgenommen zu
werden?
Martin Schulz: "Dazu braucht es einen viel stärker
personalisierten EU-Wahlkampf. 2014 wird es vor der Europawahl
internationale Spitzenkandidaten geben. Die Sozialisten stellen einen
Kandidaten auf, genauso wie die Konservativen. Und diese Figuren
werden sich einen Wahlkampf liefern." Interview: Maria Gruber, MZ
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