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Mittelbayerische Zeitung: Im Würgegriff des Clowns - Silvio Berlusconi hat Italien vielleicht
unumkehrbar verändert. Von Julius Müller-Meiningen

ID: 923118

(ots) - Silvio Berlusconi ist ein in letzter Instanz
verurteilter Straftäter. Drei italienische Gerichte, darunter der
Oberste Gerichtshof in Rom, befanden den 76-Jährigen wegen
Steuerbetrugs in Millionenhöhe für schuldig. Berlusconi wurde zu vier
Jahren Haft verurteilt, von denen er wegen einer Amnestieregelung nur
ein Jahr absitzen muss, vermutlich in Hausarrest. Dennoch hält der
viermalige Ministerpräsident Italien weiter in Schach. In jeder
anderen westlichen Demokratie hätte ein rechtskräftiges
Gerichtsurteil den Rücktritt des Verurteilten zur Folge. Besonders
ein gegen das Gemeinwesen gerichtetes Delikt wie Steuerhinterziehung
bedeutete für einen Politiker das Ende seiner Laufbahn. Nicht so in
Italien. Berlusconi, der weiter seinen Sitz im italienischen Senat
beansprucht, hat die Italiener in den vergangenen 20 Jahren Stück für
Stück verändert. Das Ergebnis ist: Ohne, dass sich die Öffentlichkeit
indigniert, kann der Verurteilte gegen die angebliche
politisch-juristische Verschwörung schwadronieren. Der kriminelle
Clown bestimmt weiter die politische Agenda. Ob Berlusconi von seiner
Unschuld überzeugt ist, spielt keine Rolle. Schon früher verteidigte
er als Ministerpräsident Steuerhinterziehung. Signifikant ist viel
mehr, dass Berlusconis Anhänger zwei voneinander unabhängige
Kategorien gegeneinander aufwiegen, nämlich Recht und Popularität.
Sie behaupten, die Justiz könne nicht einen Politiker aus dem Spiel
nehmen, der bei den vergangenen Wahlen die Stimmen von zehn Millionen
Italienern bekommen hat. Diese Logik zeugt vom Schwund des
demokratischen Rechtsstaats in Italien, in der Judikative und
Exekutive unabhängig voneinander agieren können müssen. Dass der
Straftäter Berlusconi seine Interessen auf Kosten Italiens überhaupt
weiter verfolgen kann, hat verschiedene Gründe. Da ist etwa die an




der Regierung beteiligte Berlusconi-Partei "Volk der Freiheit" (PdL),
die vollständig von ihrem Gründer abhängig ist. Die Partei verfügt
über keine echten demokratischen Strukturen, wie etwa einen Kongress,
auf dem Personal- und Richtungsentscheidungen getroffen werden. Der
Unternehmer Berlusconi hat die Bewegung im Stile einer Firma
organisiert, er hat sie selbst ins Leben gerufen, bestimmt ihren
Namen und Sekretär. Der reichste Unternehmer des Landes verfügt mit
der PdL über einen von ihm finanzierten Apparat zur Vertretung
eigener Interessen. Dieses als Partei getarnte Sprachrohr, das
zuletzt auf knapp ein Drittel der Wählerstimmen kam, ist das Vehikel
für Berlusconis politischen Überlebenskampf. Längst haben sich auch
Berlusconi-Feinde in Italien an parademokratische Mechanismen wie
diesen gewöhnt. Auch ist der gegenwärtige Effekt des durch Berlusconi
ausgelösten medialen und kulturellen Umschwungs in Italien nicht zu
unterschätzen. Der Medienunternehmer hat das italienische
Privatfernsehen monopolisiert, sein Imperium Mediaset bestimmt noch
heute den Markt. So hat sich in 20 Jahren beispielsweise die von den
Berlusconi-Sendern verbreitete und gebetsmühlenartig wiederholte
Botschaft einer parteiischen Justiz in vielen Köpfen festgesetzt. Der
Schriftsteller Umberto Eco unterteilte die Anhänger Berlusconis einst
anschaulich in die "motivierten" und die "faszinierten" Wähler.
Erstere lassen sich von Versprechungen wie Steuersenkungen
vereinnahmen, letztere sind vom Charisma Berlusconis fasziniert. Doch
auch die meisten Berlusconi-Gegner haben sich mit den Verhältnissen
abgefunden. Nicht Empörung oder Proteste sind ihre Reaktion auf das
unwürdige Spektakel des Paten der italienischen Politik. Eine Art
Murmeltier-Reflex, ein auch gedanklicher Rückzug ins Private, vereint
seit langem viele derjenigen, die Berlusconi für eines der größten
Ãœbel Italiens halten und sich schon lange nichts mehr Gutes von der
Res Publica erwarten. Angesichts eines schlecht funktionierenden
Gemeinwesens und unwürdigen politischen Vertretern in allen Lagern
reagieren viele Italiener mit Desinteresse. Sie warten skeptisch ab
und könnten erst dann aufwachen, wenn es vielleicht schon zu spät
ist.



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Datum: 07.08.2013 - 18:42 Uhr
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