(ots) - Das tschechische Parlament hat einen gordischen
Knoten durchgeschlagen. Neuwahlen sollen die monatelange
Regierungskrise beenden. Die politischen Probleme des Landes sind
damit aber keineswegs gelöst. Im Gegenteil: Das Drama beginnt erst,
wie ein Blick auf die Parteien zeigt, die sich zur Wahl stellen. Die
einst große konservative ODS befindet sich nach Korruptionsskandalen
im freien Fall. Die Sozialdemokraten irrlichtern ohne klare Führung -
und könnten dennoch zu Regierungsverantwortung kommen. Unterstützt
würden sie vermutlich von den wiedererstarkten Betonkopf-Kommunisten,
die in Tschechien noch immer mit der politischen Wende nach der
Samtenen Revolution von 1989 hadern. Wem das nicht bunt genug ist,
dem dürften die diversen Splitter- und Protestparteien Freude
bereiten. Allein die liberale Top09 des ehemaligen Außenministers
Karel Schwarzenberg genügt höheren Ansprüchen. Die Umfragen deuten
aber auf eine linke Regierung ohne Schwarzenberg hin. Stark sein wird
ein solches Bündnis nicht. Das macht es dem populistischen
Präsidenten Milos Zeman leicht, seine Machtposition auszubauen. Der
Staatschef hat laut Verfassung vor allem repräsentative Aufgaben.
Doch um den Geist des Grundgesetzes haben sich schon Zemans Vorgänger
Vaclav Havel und Vaclav Klaus wenig geschert. Sie haben sich als
Präsidenten zu Übervätern der Nation stilisiert. Der demokratischen
Kultur im Land ist das nicht gut bekommen. Zeman kann mit einem
weiteren Pfund wuchern. Er ist der erste direkt vom Volk gewählte
Präsident. Daraus leitet der Linkspopulist das Mandat ab, die
Richtung der tschechischen Politik vorzugeben - auch wenn davon
nichts in der Verfassung steht. Aber die Spielregeln der Demokratie
haben Zeman noch nie sonderlich interessiert. Als er um die
Jahrtausendwende herum Premier war, kungelte er Entscheidungen lieber
bei einem Bier an der Bar aus, als sie im Parlament oder im Kabinett
zu diskutieren. Die Abgeordneten und die Parteien ihrerseits haben
sich den Bedeutungsverlust selbst zuzuschreiben. Die politische Szene
in Prag ist so korruptions- und skandalverseucht wie kaum eine andere
Demokratie im Osten Europas. Und das will etwas heißen, wenn man nach
Rumänien, Bulgarien oder Ungarn blickt. Dennoch ist Tschechien auch
in positiver Hinsicht ein Sonderfall. Zeman greift zwar nach der
Macht. Er ist jedoch ein gutes Stück von den autoritären Ambitionen
eines Viktor Orban in Budapest oder eines Viktor Ponta in Bukarest
entfernt. Vor allem hat Zeman nicht deren Möglichkeiten zu handeln.
Es wird in keinem Fall eine Zweidrittelmehrheit im Prager Parlament
geben - für wen auch immer. Dazu ist die tschechische Gesellschaft
strukturell zu pluralistisch. Die Tschechen sind auch alles andere
als autoritätsgläubig. Eher haben sie einen Hang zur Anarchie. Im
Zweifel werden sie deshalb einen Möchtegern-Diktator von der Prager
Burg jagen, ob er von links kommt wie Zeman oder von rechts wie zuvor
Vaclav Klaus. Das ist beruhigend, denn die politische Entwicklung im
Herzen des Kontinents betrifft die gesamte EU. Gefahr für Europa
droht deshalb auch weniger von den innenpolitischen Machtspielen
Zemans. Ein viel größeres Problem ist es, dass sich ein junger
EU-Staat wie Tschechien nicht dazu aufschwingen kann, die europäische
Einigung voranzutreiben. Und das liegt weniger am Präsidenten, der
als pragmatischer EU-Freund bekannt ist, als an den Bürgern. Die
Einführung des Euro, die in Tschechien frühestens 2019 kommen wird,
ist im Land nicht allein wegen der Krise der Währungsunion unpopulär.
Vielmehr treibt die Menschen das dumpfe Gefühl um, dass es nicht gut
ist, mit anderen Nationen gemeinsame Sache zu machen. Man kann das
als Freiheitsliebe bezeichnen. Man kann es aber auch böhmisch-stur
oder kleingeistig nennen.
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