(ots) - In einem Festgottesdienst in der Französischen
Friedrichstadtkirche am heutigen Freitag wurde Prälat Martin
Dutzmann, seit 1. Oktober 2013 Bevollmächtigter des Rates der
Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bei der Bundesrepublik
Deutschland und der Europäischen Union, in sein neues Amt eingeführt.
Die Einführung nahm der Vorsitzende des Rates der EKD, Nikolaus
Schneider, vor.
Schneider wünschte in seiner Ansprache dem neuen Bevollmächtigten
Gottes Segen für dessen Amtsführung und betonte: "Die Grundaufgabe
allen kirchlichen Handelns ist es, das Evangelium durch die Zeit zu
tragen. Dies tun wir mit all unserem kirchlichen Handeln und so auch
in der Funktion eines Bevollmächtigten des Rates der EKD." Dutzmann
werde im "lebendigen Kontakt mit Staat und Politik um Verständnis für
die Glaubenseinsichten und Ansichten der Evangelischen Kirche werben"
- etwa , so der Ratsvorsitzende weiter, "im Blick auf die Fragen zu
Beginn und Ende des Lebens, in Hinsicht auf Perspektiven zur
Bewältigung der sozialen Herausforderungen unserer Gesellschaft und
mit Visionen für das uns alle bewegende und mitunter auch
beunruhigende Projekt der europäischen Einigung."
Die Anliegen der Evangelischen Kirche kraftvoll zu vertreten, so
Schneider, sei nicht "konfliktfrei" und brauche deshalb einen
"begabten und gut beratenen Vermittler". Zugleich aber müsse der
Bevollmächtige auch für die Aufgaben der Politik in der Kirche
Verständnis wecken. "Ein Gesandter sind Sie also, ein Diplomat
zwischen Staat und Kirche. Und das nicht im Geist der Furcht, sondern
der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit", so der Ratsvorsitzende
abschließend.
In seiner Predigt über das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter
(Lukas 10, 25-37) führte Prälat Martin Dutzmann aus: "Jesus nötigt
uns die Perspektive des Opfers auf. Angenehm ist das nicht. Für
Christenmenschen aber ist die Perspektive des Opfers die einzig
mögliche Perspektive. Warum? Weil das die Blickrichtung Gottes ist.
Die ganze Heilige Schrift erzählt von der Leidenschaft Gottes für die
Leidenden und von seiner Schwäche für die Schwachen."
Ausgehend vom biblischen Text zog Dutzmann eine Parallele zur
aktuellen Situation von Flüchtlingen an den Außengrenzen der EU: "Von
dem unwegsamen Gelände zwischen Jerusalem und Jericho ist es über das
Mittelmeer nicht weit bis zur Außengrenze der Europäischen Union.
Hinter dieser Grenze leben die Menschen in Sicherheit. Im Fernsehen
aber sehen sie, was sich beinahe täglich vor ihrer Tür abspielt. Wie
viel zu viele Flüchtlinge in viel zu kleinen Booten versuchen, sich
in Sicherheit zu bringen. Wie diese Boote kentern und die Menschen
ertrinken."
Der biblische Samariter, so Dutzmann weiter, habe nicht nur
Soforthilfe geleistet, sondern auch, als die unmittelbare Gefahr für
den Verwundeten abgewendet war, habe der Samariter aus dem
Lukasevangelium für die weitere Pflege des Opfers gesorgt. Dutzmann:
"Wie enttäuscht, wie entsetzt, wie verzweifelt müssen jene sein, die
in dem sich "christliche Wertegemeinschaft" nennenden Europa
Barmherzigkeit vermuten, aber Abwehr und Gleichgültigkeit erleben."
Die Weisung Jesu am Ende des Gleichnisses an seinen Zuhörer aber sei
deutlich: ,So geh hin und tu desgleichen!'"
Das, so Dutzmann, heiße auch für heute: "Geh hin und handle wie
der Barmherzige Samariter handelte. Tu es als einer, der gelernt hat,
mit den Augen des Opfers zu sehen. Lass dich von der Not der Menschen
anrühren und hilf ihnen. Ob der Schriftgelehrte der Aufforderung Jesu
folgte, erfahren wir nicht, aber das ist auch nicht wichtig. Wichtig
ist, dass wir folgen - Staat und Gesellschaft, Kirche und Diakonie,
aber auch jeder und jede einzelne. Gelegenheit dazu haben wir jeden
Tag."
Hannover/Berlin, 11. Oktober 2013
Pressestelle der EKD
Reinhard Mawick
Es gilt das gesprochene Wort!
Prälat Dr. Martin Dutzmann
Bevollmächtigter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland
bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union
Predigt anlässlich seiner Amtseinführung über Lukas 10, 25-37 am
11. Oktober 2013 in der Berliner Friedrichstadtkirche
Liebe Gemeinde,
als Schriftlesung haben wir vorhin die Gleichniserzählung vom
Barmherzigen Samariter gehört. Die meisten von uns werden sie gut
kennen - vielleicht schon seit Kindheitstagen. Das Gleichnis vom
Barmherzigen Samariter gehört zu den wichtigsten und bekanntesten
Geschichten der Bibel. In Kirche und Diakonie, Gesellschaft und
Kultur hat es deutliche Spuren hinterlassen. Auch unsere Sprache ist
von dieser Geschichte berührt worden: Wenn wir das Wort
"Samariterdienst" hören, wissen wir sofort, dass eine gute und
barmherzige Tat gemeint ist. Wird diese so bekannte Geschichte uns an
diesem Vormittag irgendetwas Neues sagen können? Probieren wir es
aus, indem wir uns neu auf die alten Worte einlassen. Ein
Schriftgelehrter fragt Jesus: "Wer ist mein Nächster?" Wir erfahren,
dass sein Motiv für diese Frage nicht lauter ist: Er will Jesus damit
aufs Glatteis führen und selbst umso besser dastehen. Aber Jesus
interessiert das Motiv des Fragenden nicht. Die Frage nach dem
Nächsten ist so wichtig, dass sie eine Antwort verdient. Deshalb
lässt Jesus sich darauf ein und beginnt zu erzählen. "Es war ein
Mensch, der ging von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die
Räuber." Mit dem ersten Satz seiner Erzählung schafft Jesus eine
Situation, deren Dramatik kaum zu überschätzen ist. Er macht den
Schriftgelehrten, der ihm zuhört, und uns, die wir quasi als
Zaungäste dabei sind, zu Begleitern des Überfallenen. Aus dessen
Blickwinkel ist alles, was nun folgt, erzählt. Während der ganzen
Geschichte werden wir an seinem Schicksal teilhaben. Jesus nötigt uns
also die Perspektive des Opfers auf. Angenehm ist das nicht. Für
Christenmenschen aber ist die Perspektive des Opfers die einzig
mögliche Perspektive. Warum? Weil das die Blickrichtung Gottes ist.
Die ganze Heilige Schrift erzählt von der Leidenschaft Gottes für die
Leidenden und von seiner Schwäche für die Schwachen. "Die Räuber
zogen ihn aus und schlugen ihn und machten sich davon und ließen ihn
halb tot liegen." An der Seite des Opfers erleben wir mit, wie der
Mann gedemütigt wird, als man ihm die Kleider vom Leib reißt. Und wir
können uns vorstellen, wie er unter den Schlägen seiner Peiniger
schreit, stöhnt und am Ende nur noch leise wimmert. Wie die
Todesangst ihn packt, als er in der Wüste allein zurückgelassen
wird... Wir fühlen mit dem überfallenen Mann und denken auch an die
anderen Opfer, von denen es in dieser Welt so viele gibt. Wir denken
an die Angst der Frauen, Männer und Kinder, die vor dem Bürgerkrieg
in Syrien fliehen. Millionen sind es inzwischen. Wir denken an die
Mütter und Väter in Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas.
Viele, zu viele, können ihren Kindern nicht geben, was sie zum
Ãœberleben brauchen, von Bildung und Ausbildung ganz zu schweigen. Wir
denken an die Not von Menschen in unserem Land und in dieser Stadt,
denen eine gerechte Teilhabe an den Gütern und Gaben unserer
Gesellschaft verwehrt ist. Wir denken an die Qualen von Jungen und
Mädchen, denen Gewalt angetan wurde. Gewalt ausgerechnet durch
Menschen, denen sie ihr Vertrauen geschenkt hatten! "Es traf sich
aber, dass ein Priester dieselbe Straße hinabzog; und als er ihn sah,
ging er vorüber. Desgleichen auch ein Levit. Als er zu der Stelle kam
und ihn sah, ging er vorüber." Das ist niederschmetternd: Zwei
Männer, die es eigentlich besser wissen müssten, gehen vorbei.
Priester und Leviten kennen die Gebote Gottes besser als die meisten
anderen Menschen. Sie wissen, dass man nicht nur Gott lieben soll,
sondern auch seinen Nächsten wie sich selbst. So steht es im dritten
Buch Mose. Von beiden Passanten heißt es, dass sie das Opfer sehen,
und wir können wohl annehmen, dass der Überfallene seinerseits sieht,
dass er gesehen wird. Welche Hoffnung muss da in diesem unglücklichen
Menschen aufkeimen! Jetzt kommt Hilfe! Jetzt wird alles gut! Aber es
kommt keine Hilfe. Nichts wird gut. Die beiden gehen vorüber. Wie
verzweifelt muss der Verletzte sein! Von dem unwegsamen Gelände
zwischen Jerusalem und Jericho ist es über das Mittelmeer nicht weit
bis zur Außengrenze der Europäischen Union. Hinter dieser Grenze
leben die Menschen in Sicherheit. Im Fernsehen aber sehen sie, was
sich beinahe täglich vor ihrer Tür abspielt. Wie viel zu viele
Flüchtlinge in viel zu kleinen Booten versuchen, sich in Sicherheit
zu bringen. Wie diese Boote kentern und die Menschen ertrinken. Das
alles sehen die Europäer. Manche sehen das sogar aus der Nähe.
Fischer haben in der vergangenen Woche vor der Insel Lampedusa die
Flüchtlinge in ihrer Not gesehen. Geholfen haben sie nicht - aus
Angst vor empfindlichen Strafen. Die Küstenwache hat die Nussschalen
auf ihren Radarschirmen gesehen - und ebenfalls nicht eingegriffen.
Viele, die die Notleidenden aus der Ferne oder aus der Nähe sehen,
sind Christen. Menschen also, die sich - wie Priester und Levit im
Gleichnis - dem Doppelgebot der Liebe verpflichtet wissen oder wissen
sollten. Wie enttäuscht, wie entsetzt, wie verzweifelt müssen jene
sein, die in dem sich "christliche Wertegemeinschaft" nennenden
Europa Barmherzigkeit vermuten, aber Abwehr und Gleichgültigkeit
erleben. "Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam dahin."
Jetzt dürfte der Verletzte in Panik geraten: Ein Samariter! Ein
Fremder! Ein Ausländer! Ein Andersgläubiger! Einer, vor dem die
Eltern immer gewarnt haben: "Nimm dich vor denen in acht. Wenn wir
uns die nicht vom Leib halten, werden Sie demnächst alles
kontrollieren und alles bestimmen." Und nun - als ob die Not nicht
schon groß genug wäre - kommt ein solcher Fremder des Weges. Wird
dieser Fremde mit seiner fremden Religion sich an dem Unglück des
Überfallenen weiden? Wird er ihn hämisch fragen: "Wo ist nun dein
Gott?" Wird der Fremde ihm womöglich den Todesstoß versetzen? Aber es
kommt ganz anders. "Als der Samariter ihn sah, jammerte er ihn; und
er ging zu ihm, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie
ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine Herberge und
pflegte ihn." Balsam dürfte das für Seele und Leib des schwer
Verletzten sein. Wie gut es ihm wohl tut, dass dieser Fremde Gefühle
zeigt, starke Gefühle. "Er jammerte ihn." Eigentlich müsste man aus
dem Griechischen so übersetzen: "Als der Samariter den Überfallenen
sah, drehten sich ihm vor Entsetzen die Eingeweide herum." Und dem
Verletzten fällt es vermutlich wie Schuppen von den Augen: Dieser
Fremde, vor dem die Eltern warnten, ist ja ein Mensch! Ein Mensch,
der fühlt. Ein Mensch, der mitfühlt. Und nicht nur das: Dieser Fremde
ist ein Mensch, der hilft. Nicht wie ein Dilettant, sondern
professionell. Fachkundig versorgt er die Wunden, organsiert den
Krankentransport, managt die stationäre Aufnahme und übernimmt die
Pflege. Und wir, die wir noch immer in der Nähe sind, wir spüren
auch, wie gut das tut. So werden wir daran erinnert, dass fremde
Menschen eine Bereicherung für uns sein können. Dass sie Gaben,
Fähigkeiten und oft genug eine solide Ausbildung mitbringen. Wir
werden das nicht vergessen, wenn Jesus uns aus der Geschichte in den
Alltag entlassen hat, aber jetzt geht es erst noch weiter... Die
unmittelbare Gefahr für den Verletzten ist abgewendet; er ist in
Sicherheit. Hier in der Herberge werden ihn keine marodierenden
Banden ein zweites Mal überfallen und auch die Wunden werden sich
nicht entzünden, sondern heilen. Und nun geschieht erneut etwas
Wunderbares: "Am nächsten Tag zog er (also der Samariter) zwei
Silbergroschen heraus, gab sie dem Wirt und sprach: Pflege ihn; und
wenn du mehr ausgibst, will ich dir's bezahlen, wenn ich
wiederkomme." Der immer noch Hilfsbedürftige kann und soll an dem
sicheren Ort bleiben, bis er wieder auf eigenen Füßen stehen kann.
Das kostet richtig Geld; zwei Silbergroschen sind keine Kleinigkeit.
Für den Samariter aber scheint es selbstverständlich zu sein, diesen
Betrag aufzuwenden und wenn es nötig ist, auch mehr. Wie wohl muss
dem Patienten auch dieses tun: "Da sieht einer nicht auf seine
Bestimmungen und sein Budget sondern auf mich. Da ist einer nicht von
der Sorge um sich selbst sondern von der Sorge um mich erfüllt." Auch
wir empfinden, wie gut das tut. Und wir ahnen, wie wohltuend es etwa
für Flüchtlinge ist, wenn Helfer in Deutschland sie in ihrer Not
wahrnehmen und unterstützen. Liebe Gemeinde, hier ist die
Gleichniserzählung vom Barmherzigen Samariter zu Ende. Aber Jesus
stellt dem Schriftgelehrten und mit ihm auch uns noch eine
Kontrollfrage. Wie gesagt: Die Frage nach dem Nächsten ist wichtig,
und Jesus will sicher sein, dass die Antwort verstanden ist. Deshalb
hakt er nach: "Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste
gewesen dem, der unter die Räuber gefallen war?" Noch immer entlässt
Jesus uns nicht aus der Perspektive des Opfers. Aus seiner und nur
aus seiner Sicht fällt die Entscheidung darüber, was Nächstenliebe
ist und was nicht. Der Schriftgelehrte antwortet so wie es die
Gleichniserzählung nahe legt: "Der die Barmherzigkeit an ihm tat."
Erst ganz am Schluss lässt Jesus den Schriftgelehrten und uns die
Blickrichtung wechseln. "Da sprach Jesus zu ihm: "So geh hin und tu
desgleichen!" Also: Geh hin und handle wie der Barmherzige Samariter
handelte. Tu es als einer, der gelernt hat, mit den Augen des Opfers
zu sehen. Lass dich von der Not der Menschen anrühren und hilf ihnen.
Ob der Schriftgelehrte der Aufforderung Jesu folgte, erfahren wir
nicht, aber das ist auch nicht wichtig. Wichtig ist, dass wir folgen
- Staat und Gesellschaft, Kirche und Diakonie, aber auch jeder und
jede einzelne. Gelegenheit dazu haben wir jeden Tag. Und der Friede
Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und
Sinne in Christus Jesus. Amen.
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