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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zur Späh-Affäre: "Größtmögliche Blamage" von Holger Schellkopf

ID: 968577

(ots) - Keine Frage, sollte sich auch nur ein Teil der
im Raum stehenden Vorwürfe bestätigen, haben wir es mit einem
handfesten Skandal zu tun. Sollten tatsächlich US-Geheimdienste auch
nur versucht haben, die deutsche Regierungschefin abzuhören, ist jede
Grenze des Erträglichen überschritten. Da spielt es auch keine Rolle,
ob Präsident Obama von der Spitzelei wusste oder NSA, CIA oder sonst
einer der zahlreichen einschlägig Verdächtigen nicht längst machen,
was sie wollen. Es wäre aber viel zu einfach, sich jetzt nur über die
USA zu echauffieren. Denn unabhängig vom tatsächlichen Gehalt der
Vorwürfe beweist die aktuelle Entwicklung vor allem und endgültig:
Der Umgang der schwarz-gelben Regierung mit der gesamten NSA-Affäre
ist nichts als eine riesengroße Blamage. All die Beschwichtigungen
der Herren Pofalla und Friedrich, ja auch die bisherigen Äußerungen
der Kanzlerin, zeugen im Licht der Ereignisse mindestens von
größtmöglicher Naivität, wahrscheinlich aber eher von größtmöglicher
Gleichgültigkeit - so lange man eben nicht selbst betroffen ist.
Lange Zeit hatte auch Merkel den Eindruck erweckt, sie halte die
Sorge über PRISM und ähnliche Programme entweder für eine
Aufgeregtheit von Journalisten oder aber die Spinnerei dieser
Neuland-Bewohner, vulgo Internet-Nutzer. Nicht zu vergessen der
Lieblingsspruch der Law-and-Order-Fraktion: Wer nichts zu verbergen
hat, der braucht auch nichts zu befürchten. Das gilt nun plötzlich
nicht mehr. Die Kanzlerin und ein ganzer Schwung ihrer
Regierungsmitglieder würden jetzt vermutlich sehr viel dafür geben,
könnten sie die selbst ausgesprochenen Dokumente ihrer Untätigkeit
ganz schnell aus den Archiven tilgen. Da finden sich nämlich Aussagen
wie die eines Innenministers, der über das "Supergrundrecht
Sicherheit" schwadroniert oder die eines Kanzleramtschefs, der




einfach mal behauptet: "Die Vorwürfe sind vom Tisch." Man muss also
nicht einmal sinnfreie Statements von Laiendarstellern wie dem
Unions-Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer oder Philipp
Mißfelder, immerhin außenpolitischer Sprecher der CDU, bemühen, um zu
belegen, wie wenig sich die Union um das Thema geschert hat.
Offensichtlich ist man dem eigenen Märchen zum Opfer gefallen, dessen
zen-trale Botschaft lautet: Das geschieht alles nur zu eurer eigenen
Sicherheit. In Wahrheit geht es hier um einen Krieg der Daten. Es
geht um Wissensvorsprung, der politisch und wirtschaftlich zum
eigenen Nutzen eingesetzt werden kann. Deshalb ist es aus Sicht der
US-Geheimdienste Teil ihres Auftrags, an allen entscheidenden Stellen
ihr Wissen zu vermehren. Dass Angela Merkel in Europa eine ganz
entscheidende Rolle spielt, ist wohl von niemandem zu bestreiten.
Umso erschütternder allerdings, dass sich im Regierungslager offenbar
nie jemand die Frage gestellt hat, warum die NSA zwar EU-Botschafter
oder den früheren UN-Generalsekretär Kofi Annan ausspäht, nicht aber
an der deutschen Bundeskanzlerin interessiert sein sollte. Es ist
obendrein ein weiterer Beweis für die offensichtliche Unfähigkeit der
deutschen Geheim- und Abwehrdienste. Welch Zufall, dass auch hier die
Herren Friedrich und Pofalla verantwortlich zeichnen. Die anstehenden
Koalitionsverhandlungen sollten dafür genutzt werden, beide endlich
zu befreien - sie haben jetzt ausreichend bewiesen, dass sie ihren
Aufgaben nicht gewachsen sind. Die Frage, warum sich Angela Merkel
erst für das Thema interessiert, wenn es ums eigene Telefon geht,
wird die Bundeskanzlerin den Millionen ebenfalls potenziell
betroffenen Deutschen aber schon selbst beantworten müssen.



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Datum: 24.10.2013 - 21:10 Uhr
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