Macroeconomic Imbalance Procedure (MIP / AMR) oder wie Brüssel Außenhandel, Überschüsse und Exportstärke untersucht
(firmenpresse) -
Die Exportwirtschaft ist nicht nur für Deutschland wichtig; Exportstrategie und Exportgeschäfte sind vor allem auch Risikogeschäfte. Diese stehen in starker Abhängigkeit von der Bonität des Importeurs und der politischen Stabilität des Importstaates mit zahlreichen, sehr schwer einzuschätzenden politischen und wirtschaftlichen Risiken verbunden. In der Regel kann nur ein Teil dieser Risiken kann durch staatliche Exportversicherer abgesichert werden.
Die deutsche Exportwirtschaft verzeichnet nicht zum ersten Mal einen Außenhandelsüberschuss. Die Schutzmechanismen der EU sehen als Folge der letzten Krise vor, dass wirtschaftliche Ungleichgewichte im Wirtschaftsraum Europas vermieden werden sollen. Danach soll der Außenhandelsüberschuss eines EU-Mitgliedstaates im Durchschnitt von 3 Jahren nicht über 6 % liegen. Deutschlands Exportplus übersteigt jedoch seit dem Jahr 2006 diesen Wert.
Die EU-Kommission untersucht auf der Grundlage eines besonderen Verfahrens, ob gesamtwirtschaftliche Ungleichgewichte vorliegen, vorliegen könnten oder vorliegen werden und ob dies in der Folge zur wesentlichen Verzerrungen – systemrelevanten wirtschaftlichen Folgen – für die Stabilität der EU-Wirtschafts- und Fiskalpolitik führt oder führen kann, welche die EU (Kommission) verpflichten, Empfehlungen zu verabschieden oder Maßnahmen zu ergreifen.
Das mit präventivem Charakter ausgestattete Überwachungsverfahren der EU – MIP – wird einmal jährlich durchgeführt. Es hat den Euro-Wirtschaftsraum im Blick, somit auch EU-Mitglieder, die nicht den Euro haben. Gegenstand der Prüfung können auch die Exportstärke und ihre Ursachen sein. Viele Reden aktuell darüber, aber nur die Wenigsten können sich hierzu fachlich-qualifiziert äußern.
MIP ist viel weniger kompliziert, als vermutet wird und gliedert sich in nachfolgende Verfahrensstufen:
•Die Alarmwarnung: Alert Mechanism Report (AMR)
Dem ersten Verfahrensschritt liegt ein besonders ausgestalteter Lagebericht, der Alert Mechanism Report (kurz: AMR), zugrunde. Es ist ein Überwachungs-Tool und zugleich Ausgangspunkt für die makroökonomische Prüfung von sogenannten Ungleichgewichten in EU-Mitgliedstaaten. Alert bedeutet Alarm und einen solcher Alarm haben die zuständigen Markt-Analysten zu geben, wenn auf der Grundlage einer bestimmten Checkliste, d. h. Scoreboard von 10 Indikatoren, sich in Konturen abzeichnende, riskante makroökonomische Entwicklungen darstellen, die beispielsweise zu Ungleichgewichten führen. AMR ist ein auf Prävention angelegtes Tool; der Alarm (Alert Mechanism) ist unschädlich für die betroffenen EU-Mitgliedstaaten, aber ein Startknopf zum Handeln für die EU.
•AMR-Checkliste und Analyse: In-depth Reviews
Im zweiten Verfahrensschritt wird geprüft, ob diese Indikatoren der o. g. AMR-Checkliste bestimmte Schwellenwerte überschreiten. Ist dies der Fall, wird der betroffene EU-Mitgliedstaat einer tiefergehenden Analyse unterzogen, kurz: In-depth Reviews. Auf der Grundlage dieser 'In-depth Reviews' bestimmt die Kommission die Existenz und Natur von Ungleichgewichten sowie deren Trend. Bestehen systemrelevante Ungleichgewichte, gibt der Europäische Rat, auf Basis von Empfehlungen der EU-Kommission, dem betroffenen Mitgliedsland eine Empfehlung oder Verpflichtung zu entsprechenden Gegenmaßnahmen. Abhängig von der Schwere der Ungleichgewichte verabschiedet die Kommission Empfehlungen, entweder unter dem 'präventiven Arm' – oder dem 'korrektiven Arm' der 'Macroeconomic Imbalance Procedure' (MIP).
•Das abschließende Lagebild (länderspezifische Empfehlung)
Identifiziert das Lagebild (in einen oder mehreren Fällen) systemrelevante (schädliche), makroökonomischer Ungleichgewichte, etwa eine erhebliche Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit, eine sehr hohe Verschuldung oder das Entstehen von Spekulationsblasen u. a., erfolgt eine länderspezifische Bewertungen. Daran knüpft eine eingehende, nunmehr abschließende (abrundende) Gesamtbewertungen an, mit dem Votum, ob systemrelevante (schädliche) Ungleichgewichte bestehen oder entstehen werden.
Dieses abschließend bewertete Lagebild (andere sprechen von der MIP-relevanten Empfehlung) wird in die jährlichen, länderspezifischen Empfehlungen der Kommission integriert, die zugleich die Leitlinien für die nationale Wirtschaftspolitik darstellen. Damit ist das Verfahren in das Europäische Semester eingegliedert.
Rechtsfolgen
Die EU setzt zunächst auf die Prävention: Der präventive Arm des MIP ermöglicht es der Europäischen Kommission und dem Rat Empfehlungen frühzeitig zu verabschieden – noch bevor Ungleichgewichte die Wirtschafts- und Fiskalpolitik in EU sowie den Euro ernsthaft gefährden könnten.
•'Corrective Action Plan' (Abhilfe und verstärkte Überwachung)
Sollte jedoch ein systemrelevantes Ungleichgewicht die Funktionsfähigkeit der Wirtschafts- und Währungsunion bedrohen (können), sieht das Verfahren eine Fortsetzung unter dem korrektiven Arm der MIP vor, dem übermäßigen Ungleichgewichtsverfahren bzw. Excessive Imbalance Procedure (EIP). Der betroffene Mitgliedsstaat ist angehalten, einen 'Corrective Action Plan' vorzulegen, der konkrete, strukturpolitische Maßnahmen sowie Fristen für deren Ausführung enthält. Die wirtschaftliche Überwachung durch die Kommission wird intensiviert, und der Mitgliedsstaat muss regelmäßig Fortschrittsberichte vorlegen.
•'Excessive Imbalance Procedure' (finanzielle Sanktionen)
Falls das Mitgliedsland keinen zufriedenstellenden 'Corrective Action Plan' vorlegt oder wiederholt bei der Durchführung der vereinbarten Maßnahmen versagt, kann die EU zur Durchsetzung von EU-Recht finanzielle Sanktionen dem EU-Mitgliedstaat androhen – oder in letzter Konsequenz verhängen. Der Rahmen einer solchen finanziellen Sanktion kann sich im Rahmen von 0,1 % des Bruttoinlandsproduktes bewegen.
Dieses härteste Mittel der EU wird als 'Excessive Imbalance Procedure' bezeichnet. Jedoch hat die Kommission bislang noch nicht zu diesem äußersten Mittel greifen müssen.
Keine Anwendung auf 'Programmländer'
EU-Mitgliedstaaten, die bereits unter einem anderen EU-Kontroll- und Überwachungsverfahren stehen, sogenannte 'Programmländer' (etwa Griechenland), werden hiervon ausgenommen. Eine Prävention kam bereits zu spät oder wäre in einem solchen Fall sinnlos. Die Korrektur von riskanten makroökonomischen Entwicklungen ist dann bereits Gegenstand eines spezielleren Verfahrens.
MIP-Implementierung 2011
Die MIP ist Teil des sogenannten 'Six-Pack' und am 13. Dezember 2011 in Kraft getreten, implementiert in den Verwerfungen der Finanz- und Eurokrise 2011, zum Zweck der Überwachung der Wirtschafts- und Fiskalpolitik – und zur Stabilisierung des Euro-Währungs- und Wirtschaftsraums.
EU-Mitglied Deutschland gehörte zu den großen Befürwortern der MIP-Implementierung im Jahr 2011.
'Annual cycle of the Macroeconomic Imbalance Procedure' (die jährliche Überprüfung)
Die MIP wurde zum ersten Mal mit dem AMR im Februar 2012 eingeleitet. Auf der Basis des Berichts führte die Kommission vertiefte Analysen (In-depth Reviews) für 12 Mitgliedsstaaten durch. Betroffen waren Belgien, Bulgarien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Italien, Slowenien, Spanien, Schweden, Ungarn, GB, Zypern. Die vertieften Analysen bestätigten, dass diese Mitgliedsstaaten gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichten von verschiedener Stärke unterlagen. Allerdings wurden keine davon für übermäßig befunden und der 'präventive Arm' der MIP aktiviert. Die Ergebnisse der Analyse wurden in die länderspezifischen Empfehlungen integriert, die die Kommission Mai 2012 im Rahmen des europäischen Semesters verabschiedete.
Am 28.11.2012 wurde der zweite Warnmechanismus-Bericht (the second annual cycle) veröffentlicht. Hierauf basierend empfahl die Kommission vertiefte Analysen (In-depth Reviews) um die Fortschritte in den zwölf Mitgliedsstaaten mit Ungleichgewichten zu ermessen. Aufgrund der 'Scoreboard'-Werte in dem Bericht wurden darüber hinaus auch vertiefte Analysen für die Niederlande sowie Malta eingeleitet. Die entsprechenden In-depth Reviews wurden am 10.04.2013 veröffentlicht. Die EU-Kommission befand Ungleichgewichte in lediglich 2 Mitgliedstaaten (Slowenien; Spanien) für systemrelevant; erst in diesen beiden Fällen wurde die Einleitung der 'Excessive Imbalance Procedure' erwogen.
Aktuell hat die EU-Kommission im November 2013 ein vertieftes Verfahren gegen 15 EU-Staaten und Deutschland im Rahmen des Frühwarnsystems wegen makroökonomischer Ungleichgewichte gestartet. „Wir werden untersuchen, ob der anhaltend hohe Außenhandelsüberschuss Auswirkung auf ganz Europa hat“, sagte Jose Manuel Barroso, EU-Kommissionspräsident. Er versuchte gleichzeitig klar zu machen, dass es nicht darum gehe, die deutsche Wettbewerbsfähigkeit in Frage zu stellen, die für die ganze Europäische Union gut sei.
Keine Folgen für Deutschland
Das weite, komplexe Prüfungsraster der MIP erfasst und umfasst die makroökonomische Entwicklung aller EU-Mitgliedstaaten. Auch Deutschland ist diesmal Gegenstand einer Überprüfung. Im November 2011 setzte der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble überdies eine Erklärung seiner EU-Kollegen durch, wonach Überschüsse in der Handelsbilanz nicht bestraft werden. In Unkenntnis vieler Kommentatoren wurde in den deutschen Medien ein unzutreffendes Zerrbild – jenseits der Realitäten – erzeugt.
Die Exportstrategie deutscher Firmen könnte nach Auffassung der EU anderen Ländern als Beispiel dienen. Es sei wichtig, dass vor allem kleinere und mittelgroße Firmen in Europa Teil der weltweiten Wertschöpfungskette würden, sagte der Beauftragte für den Mittelstand der Europäischen Kommission, Daniel Calleja-Crespo, gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Exportgeschäfte sind jedoch Risikogeschäfte (z. B. Bonitätsrisiko, Zahlungsverzug, Nichtzahlung, Abnahmerisiko, Wechselkursrisiko, Inflationsrisiko), die der Mittelstand im Rahmen des Außenhandels stark in Bedrängnis bringen können; Politische Risiken (Boykott, Embargo, Enteignung, Krieg, Revolution) können hinzu kommen. Deshalb verlängert die Deutsche Regierung die Möglichkeit für Firmen, den Selbstbehalt bei Exportkreditgarantien zu reduzieren, wie das Bundeswirtschaftsministerium am Freitag mitteilte, vermeldet „ZEIT.de“. Diese in der Wirtschaftskrise 2009 eingeführte Maßnahme habe sich bewährt und koste den Staat nicht mehr, da die Unternehmen im Gegenzug höhere Prämien zahlen müssten
Nur eines von 4 Unternehmen in der Europäischen Union nutzt konsequent die internationalen Märkte, nur eines von 8 pflegt Geschäftsbeziehungen außerhalb des EU-Wirtschaftsraums. „Man kann nicht nur exportieren, es können auch Joint-Ventures vereinbart oder verschiedene Business-Partnerschaften durch Unternehmensbeteiligungen eingegangen werden“, so der Experte für den Mittelstand. Außerdem wolle die EU in ihrem für 2014 geplanten, 70 Milliarden Euro schweren Rahmenprogramm Investitionen in die Forschung erleichtern.
Sandro Valecchi, Analyst
A + U
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D-10555 Berlin (Germany)
Valecchi_2004(at)yahoo.ca
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