(ots) - Jahrelang konnte der Rest Europas nicht begreifen,
warum Italien immer wieder Berlusconi wählte. Ähnlich kopfschüttelnd
schaut das Ausland nun auf den Erfolg des türkischen
Ministerpräsidenten Erdogan. Er sperrt Twitter und Youtube, steckt
tief im Korruptionssumpf, lässt Demonstranten niederknüppeln,
missliebige Staatsanwälte versetzen und die Presse zensieren. Dazu
überlegen Regierungsmitglieder, Raketen aus Syrien abzufeuern, um
einen türkischen Militärschlag zu ermöglichen. In den meisten
Demokratien würde ein Bruchteil der Affären ausreichen, um eine
Regierung zu stürzen. Erdogan dagegen wird durch Wahlen gestärkt.
Man kann sich das Ergebnis schönrechnen, es nicht mit der letzten
Kommunalwahl, sondern mit der Parlamentswahl von 2011 vergleichen.
Gegenüber der hat die Regierungspartei AKP mehr als vier Prozent
verloren. Aber das ändert nichts an der Schlappe der Opposition. Ganz
offenbar interessieren die bildungsfernen Schichten, die Erdogans
Wählerschaft ausmachen, sich weniger für Twitter und
Meinungsfreiheit, sondern dafür, dass der Strom verlässlich fließt
und der Müll abgeholt wird, dass Arme Anspruch auf kostenlose
medizinische Behandlung haben und dass Arbeitsplätze entstehen. Das
sind beachtliche Erfolge. Und der Premier bietet denen, die sich von
liberalen Städtern als rückständig verachtet fühlen, Tradition und
Religion als Halt.
Zu einem hohen Preis. Erdogan hat das Land tief gespalten,
jegliche Kritik gilt als feindliche Verschwörung. Die Drohungen an
die Opposition noch in der Wahlnacht lassen auch künftig weder Dialog
noch Kompromiss erwarten. Das sind keine gute Aussichten für die auch
wirtschaftlich kriselnde Türkei. Was das für die EU heißt? Wenigstens
sie sollte im Gespräch bleiben.
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