(ots) - Wolfgang Schäuble hat Wladimir Putins Griff nach
der Krim mit Adolfs Hitlers Methoden 1938/39 im Sudetenland
verglichen. »Das kennen wir alles schon«, sagte er vor Berliner
Schülern. War das zulässig? Durfte der Bundesfinanzminister Hitlers
Vorgehen vor dem Zweiten Weltkrieg mit Putins Politik vergleichen?
Ganz klar, ja.
Wer wollte ihm das verbieten? Und mit welcher Begründung? In der
Geschichtswissenschaft gelten strengere Regeln: Historische
Vergleiche werden dort mit der grundsätzlich richtigen Feststellung
verbannt, dass sich Geschichte nie wiederholt, sondern stets etwas
anders verläuft. Auch die kontrafaktische Frage, »was wäre passiert,
wenn...« wird von Hans-Ulrich Wehler und anderen Bielefelder Größen
abgelehnt. Korrekt. In Politik und Schule sind dagegen Bezugnahmen
auf scheinbar ähnliche Ereignisse erlaubt, sogar erwünscht. Schäuble
ist weder Bundesaußenminister noch Bundeskanzler. Er ist so frei,
statt der diplomatischen Verbrämung das offene Wort zu ergreifen. Er
will vor etwas warnen, was ihn zutiefst umtreibt. Und wenn er nun
diesen - sagen wir gewagten - Vergleich zieht, dann sollte man ihn
nicht deshalb verdammen. Besser ist es, die Äußerung zum Anlass zu
nehmen, etwas genauer hinzuschauen. Was also gibt es zu lernen?
Russlands Präsident Putin und der Hitler der Vorkriegszeit haben
gemein, dass sie sich nicht an Verträge und internationales Recht
halten. Beide betreiben Aggressionspolitik nach außen und auch nach
innen. Beide benutzen ein Nationalitätenproblem - dabei ist es
unerheblich, ob dieser Konflikt tatsächlich besteht oder nicht - für
einen anderen Zweck: Expansion.
Putin nimmt, was passt. Er nennt die Ãœbergangsregierung der
Ukraine insgesamt faschistisch, weil ein Teil der Opposition
tatsächlich so tickt. Er blendet aber aus, dass der gestürzte
Präsident Viktor Janukowitsch gleichfalls autoritär und faschistisch
die Verfassung aushebelte.
Hitler hat im November 1937 seinen Generalen anvertraut, dass der
Anschluss Österreichs und die Niederwerfung der gesamten
Tschechoslowakei die nächsten Etappen auf dem Weg zum Lebensraum im
Osten seien. Mit dem Münchner Abkommen konnte er ein Jahr später zwar
noch einmal vom offenen Waffengebrauch abgebracht werden, sein
territoriales Ziel wurde ihm dagegen zu gut 20 Prozent von Frankreich
und Großbritannien zugestanden. Keine sechs Monate später, am 15.
März 1939 folgte die Zerschlagung der - schlimmes Wort -
Rest-Tschechei. Und wieder ließ man Hitler gewähren. Hier kommt
Schäubles Warnung an die kommende Generation ins Spiel: Er verweist
die Schüler auf die großen Sorgen im Baltikum, in Polen oder Ungarn:
»Die haben alle ziemlich Schiss.« Richtig oder falsch?
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