(ots) - Mit Gerechtigkeit hat die Entscheidung der
Mailänder Richter nichts zu tun, eher mit falscher Rücksichtnahme auf
eine brisante politische Situation. Ein Jahr lang, bei guter Führung
vielleicht nur zehn Monate, wird der 77 Jahre alte Senior einmal in
der Woche vier Stunden lang hilfsbedürftige Senioren betreuen. Diese
Strafe wirkt auf den ersten Blick ebenso mild wie absurd. Hält der
psychisch und physisch angeschlagene Berlusconi weiter durch,
bedeutet die Entscheidung der Mailänder Richter keineswegs das Ende
seiner politischen Karriere. Im Frühjahr 2015 erhält Berlusconi, der
eine Vollstreckung seiner Strafe wegen Steuerbetrugs im Hausarrest
befürchtet hatte, seine politische und persönliche Bewegungsfreiheit
komplett zurück. Schon jetzt haben ihn die von ihm neuerdings als
"Mafia" und seit Jahrzehnten als "Kommunisten" beschimpften Richter
mit Samthandschuhen angefasst. An drei Tagen pro Woche kann
Berlusconi - wie von ihm beantragt - nach Rom reisen und sich um
seine im Umfragetief steckende Partei "Forza Italia" kümmern.
Vielleicht darf er sich sogar mit Videobotschaften oder gar
höchstpersönlich im Wahlkampf zur Europawahl engagieren. Die
Entscheidung der Richter ist die Folge einer italienischen Anomalie.
In Italien werden Gerichtsurteile nicht im Grundvertrauen auf eine in
Einzelfällen möglicherweise irrende, aber in ihrer Gesamtheit
vertrauenswürdige Justiz akzeptiert. Richter werden in der
Öffentlichkeit oft - und in Einzelfällen zu Recht - als politisiert
dargestellt. Berlusconi hat diese Interpretation der Wirklichkeit mit
Hilfe seines Medienimperiums perfektioniert. Aus dieser Verzerrung
der Tatsachen speist sich auch nach wie vor ein Teil der Zustimmung
für ihn, weil er nach seiner Lesart von linken Richtern politisch aus
dem Spiel genommen worden sei. Auch die Mailänder Richter sind nun
auf ihre Weise Opfer der italienischen Verhältnisse geworden. In
einer funktionierenden Demokratie würde ein verurteilter und
anschließend zurückgetretener politischer Führer abgelöst.
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