(ots) - Nach aktuellen Umfragen können rechtsradikale
Parteien bei der morgen beginnenden Europawahl mit erheblichem Zulauf
rechnen. Der Wahlforscher Hermann Schmitt glaubt aber nicht daran,
dass sich dadurch eine neue rechte Fraktion im Europäischen Parlament
etablieren wird. Den Ankündigungen von Marine Le Pen, Vorsitzende der
französischen rechtsradikalen Partei Front National, und des
niederländischen Chefs der Partei für die Freiheit, Geert Wilders,
traut er nicht. "Ich habe große Zweifel, dass sie zusammen über fünf
Jahre Politik machen könnten", sagt Schmitt im Interview mit der in
Berlin erscheinenden Tageszeitung "neues deutschland"
(Donnerstagausgabe).
Dass Europakritiker Zulauf haben, erklärt der
Sozialwissenschaftler mit den für die Wähler bedeutenden Themen. An
erster Stelle stehe die Krise und ihre Bewältigung, gefolgt von der
Debatte über Arbeitsmigration und ihre Folgen. "Wenn man nicht die
politischen Inhalte betrachtet, sondern nur die Symbolik, sind es
diese Themen, die diesmal Europakritik links und rechts stärker
machen werden", so Schmitt. Dass neben dem Erstarken rechter Parteien
ein Zuwachs für linke Kräfte zu erwarten ist, sieht Schmitt nicht als
Widerspruch. "Linke Positionen sind gerade aufgrund von
Jugendarbeitslosigkeit, brüchigen sozialen Netzen, Altersarmut und
weiteren Problemen in der südeuropäischen Peripherie der EU, die der
Krise geschuldet sind, besonders populär."
Der am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung und an
der Universität Manchester tätige Wissenschaftler erwartet vor dem
Hintergrund der in Deutschland nicht mehr gültigen Sperrklausel keine
Beeinträchtigungen für die Arbeit des EU-Parlaments. Dennoch
kritisiert er den Wegfall einer Prozent-Hürde, weil damit prinzipiell
die Gleichheitsrechte höher bewertet werden als die
Funktionserfordernisse des Parlaments. "Das Europäische Parlament ist
heute mit dem Rat ein gleichberechtigter Gesetzgeber. Und wir können
es uns nicht leisten, diesen Mitgesetzgeber durch nostalgische
Reflexe von höchsten Gerichten auf der nationalen Ebene zu
beeinträchtigen." Schmitt war zu dieser Frage vom
Bundesverfassungsgericht als Sachverständiger bestellt worden.
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