(ots) - Keine Frage: An aktuellen Beispielen für eine
brisante politisch-militärische Gefechtslage fehlt es exakt 100 Jahre
nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs nicht. Dennoch sind weder
Frankreichs Präsident François Hollande noch Bundespräsident Joachim
Gauck gestern der Verlockung erlegen, all zu kurze Schlüsse zu
ziehen. Sie erinnerten an den schier unglaublichen Blutzoll der
Völker, würdigten die Opfer und gaben eine ganz klare Antwort für
heute: Der Blick zurück macht nur Sinn, wenn wir daraus Europa als
große Idee und Vorbild ableiten. Nicht Brüsseler Streitereien,
Finanzmärkte und nationale Eitelkeiten, sondern die große und
stabilisierende Friedensidee dahinter muss Leitplanke in die Zukunft
sein.
In den vielen Feierstunden dieser Tage bleibt es interessant zu
beobachten, inwieweit der Historikerstreit zwischen Deutschlands
»Griff nach der Weltmacht« (Fritz Fischer) und den vielen
»Schlafwandlern« (Christopher Clark), die ins Unheil schlitterten,
eine Rolle spielt. Die aktuelle Weltlage erinnert den australischen
Historiker Clark an die Wirklichkeit von 1914. Auch heute gebe es
eine multipolare Welt, in der vieles unvorhersehbar und gefährlich
für den Frieden sei, sagt er.
Ja, es gibt eine Reihe von Regionalkrisen, in die echte
Weltmachtinteressen hineinspielen. Die Situation von 1914 spreche uns
viel intimer und direkter an als beispielsweise die Zeit des Kalten
Krieges, hat Clark dieser Tage in einem Interview erklärt. Zwischen
den Zeilen klingt hier allerdings die inakzeptable Erkenntnis mit,
dass Zeiten des Friedens durch atomaren Overkill zwischen Warschauer
Pakt und Nato womöglich die besseren, weil stabileren waren.
Es gibt kein Zurück, sondern nur das Streben um ein friedliches
Vorwärts. Und da erweist sich mit Blick auf die Alte Welt die
europäische Einigung als Glücksfall. Günter Nonnenmacher kommt in der
»Frankfurter Allgemeinen Zeitung« zu dem Schluss, dass die EU »das
erfolgreichste Experiment der Geschichte zur Zügelung
zwischenstaatlicher Spannungen ist.« Der Beweis ist erbracht. Ganz
klar.
Und auf diesem Wege darf man sich dann doch den Ähnlichkeiten des
Damals und des Heute nähern. Ja, 1914 sah sich jede der beteiligten
Mächte überfallen und frei von Schuld am Ausbruch des folgenden
Krieges. Das Muster kommt beklemmend bekannt vor. Außerdem: Der erste
totale Krieg des 20. Jahrhunderts war - anders als der zweite -
vermeidbar. Wir wissen das heute zu genau - und doch wird zu gern mit
Sachzwängen argumentiert.
Schlimmer: Längst für überwunden gehaltene nationalistische Muster
wie das Denken in Einflusssphären feiern nicht nur in der Ostukraine
fröhliche Urständ. In der Levante bereitete der arabische Frühling
den Weg zum Rückfall in Religionskriege und im Falle Libyen lässt
sich fragen, für was der Westen Muammar al-Gaddafi weggebommt hat.
Krieg ist sinnlos und bleibt doch gnadenlos präsent.
Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261