(ots) - Recep Tayyip Erdogan wäre gern ein Obama, ein
Hollande. Das heißt, damit keine Missverständnisse entstehen: Er
hätte gern deren Machtfülle. Deshalb sieht er seinen Sieg in der
ersten Direktwahl eines türkischen Präsidenten bei aller Genugtuung
auch nur als Zwischenschritt. Er will kein politischer
Frühstücksdirektor sein, sondern das System in seinem Sinne so
umkrempeln, wie es vor ihm wohl nur Staatsgründer Atatürk getan hat:
Eine »neue Türkei« - natürlich mit altem »Sultan«, wie ihn seine
Anhänger nennen. Dafür jedoch sind weitreichende
Verfassungsänderungen erforderlich, und für die braucht der
60-Jährige die notwendige parlamentarische Mehrheit, die er zur Zeit
noch nicht hat. Insofern ist nach der Wahl vor der Wahl, geplant für
nächsten Juni. Erdogan könnte also zeigen, dass er wirklich, wie in
seiner Siegesrede angekündigt, als Staatsoberhaupt aller 77 Millionen
Türken agiert, und dass die Konflikte der Vergangenheit in der von
ihm verkündeten »neuen Ära« tatsächlich beigelegt werden. Kritiker
seines bisherigen islamisch-konservativen Kurses haben da aber ihre
Zweifel. Hinzu kommt, dass der durch staatliche Großprojekte
stimulierte Wirtschaftsaufschwung längst ins Stocken geraten ist und
die Kriege der Region nicht nur in Gestalt von fast 1,5 Millionen
syrischen Flüchtlingen Teil der türkischen Realität geworden sind.
Erdogans von autoritären und nationalistischen Tönen geprägter
Wahlkampf jedenfalls ließ wenig spüren von einem neuen Geist.
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